Jenseits von Richtig und Falsch: Restorative Justice

Shownotes

In dieser Folge setzen wir uns mit Rehzi Malzahn, einer der führenden Stimmen für Restorative Justice im deutschsprachigen Raum, an einen Tisch und stellen die große Frage: Was ist eigentlich Gerechtigkeit? Gemeinsam gehen wir den tief verwurzelten gesellschaftlichen Vorstellungen von Strafe und Vergeltung auf den Grund und entdecken, wie echte Heilung und Wiedergutmachung durch Dialog und Verantwortungsübernahme möglich werden. Wir sprechen über die Ursprünge unseres Strafsystems, persönliche Erfahrungen mit Konfliktlösung und wie transformative Praktiken nicht nur Justiz, sondern auch unser Miteinander verändern können. Resi teilt dabei inspirierende Einblicke, wie Bedürfnisse anerkannt und Lösungen gemeinsam gefunden werden – jenseits von Schuld und Strafe. Wenn du wissen willst, wie Zukunftigkeit im Umgang mit Konflikten gelingen kann, ist diese Folge für dich.

Rehzi Malzahn

Buch: "Restorative Justice" von Rehzi Malzahn

Buch: Strafe und Gefängnis" von Rehzi Malzahn

Restorative Justice

https://de.wikipedia.org/wiki/Restorative_Justice

Täter-Opfer-Ausgleich

https://www.bmj.de/DE/themen/justiz/strafrecht/toa_node.html

Nils Christie

https://de.wikipedia.org/wiki/Nils_Christie

Michel Foucault – Überwachen und Strafen

https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%9CberwachenundStrafen

Marshall Rosenberg – Gewaltfreie Kommunikation

https://de.wikipedia.org/wiki/Gewaltfreie_Kommunikation

Angela Davis

https://de.wikipedia.org/wiki/Angela_Davis

Peacemaking Circles

https://restorativejustice.org.uk/resources/peacemaking-circles

UN-Richtlinien zu Restorative Justice

https://www.unodc.org/documents/justice-and-prison-reform/Expert-group-meeting/ECOSOCResolution2002-12_German.pdf

John Braithwaite

https://en.wikipedia.org/wiki/JohnBraithwaite(criminologist)

Ubuntu (Philosophie)

https://de.wikipedia.org/wiki/Ubuntu_(Philosophie)

Transkript anzeigen

Daniel: Hallo und herzlich willkommen zu Best-Case-Szenario. Mein Name ist Daniel.

Paul: Ich bin Paul.

Daniel: Und das ist unser Podcast, in dem es darum geht, wie Zukünftigkeit gelingen kann.

Daniel: Um mehr darüber zu verstehen, setzen wir uns mit Menschen zusammen,

Daniel: die aus unterschiedlichen Richtungen innerhalb unserer Gesellschaft Dinge anders

Daniel: denken und Dinge anders machen.

Paul: Und zu Gast bei uns heute ist Resi Malzahn.

Voicevover: Daisy Malzahn ist strafrechtskritische Aktivistin, Autorin und Mediatorin für

Voicevover: Täter-Opfer-Ausgleich.

Voicevover: Sie befasst sich als eine der führenden Stimmen im deutschsprachigen Raum mit

Voicevover: verschiedenen Fragen der Konfliktregelung und Restorative Justice.

Voicevover: Bei Restorative Justice geht es darum, die Folgen einer Tat nicht durch Strafe

Voicevover: zu sühnen, sondern um Heilung und Lösung durch Dialog, Verantwortungsübernahme

Voicevover: und zwischenmenschliche Wiedergutmachung zu erreichen und dabei alle beteiligten

Voicevover: Parteien einzubeziehen,

Voicevover: sowohl Opfer als auch Täter.

Voicevover: Auf diese Weise werden Bedürfnisse in den Blick genommen, die in Strafprozessen

Voicevover: außen vor bleiben, neue Perspektiven eröffnet und ein gerechtes Recht möglich.

Paul: Hallo Resi, herzlich willkommen.

Gast: Hallo, danke für die Einladung.

Paul: Schön, dass du da bist.

Gast: Ja, finde ich auch.

Daniel: Ja, dann Resi, wir starten doch mal direkt mit einer total großen Frage. Was ist Gerechtigkeit?

Gast: Ja, in der Tat. Größer ging es jetzt nicht vom Einstieg her.

Gast: Nee, größer ging es nicht.

Daniel: Wir haben direkt gedacht, lass uns doch am Anfang mal Fallhöhe schaffen.

Gast: Okay.

Gast: Ich würde da, glaube ich, gerne mit einem Augustinus-Zitat drauf antworten.

Gast: Augustinus hat mal gesagt, über Zeit, wenn mich niemand danach fragt, weiß ich es.

Gast: Wenn ich es einem aber erklären soll, weiß ich es nicht.

Gast: Und ein bisschen ist es so mit Gerechtigkeit auch.

Gast: Alle wollen Gerechtigkeit, alle reden über Gerechtigkeit. Das ist ja wirklich

Gast: so ein Ding, was Leute sehr stark motiviert, etwas zu wollen oder abzulehnen und das einzufordern,

Gast: egal ob das als Kind gegenüber den Eltern ist oder in der Schule oder in der

Gast: Supermarkt-Kassenschlange oder in Bezug auf.

Gast: Es gibt gesellschaftliche Situationen und gesellschaftliche Strukturen,

Gast: aber was ist überhaupt Gerechtigkeit und tatsächlich ist das überhaupt nicht

Gast: so klar und man kann sich dann das philosophiegeschichtlich angucken.

Gast: Wo da sich viel Gedanken drüber gemacht wurde und irgendwie es gibt auch doch

Gast: einige, die zu dem Ergebnis kommen, dass es die Gerechtigkeit nicht gibt,

Gast: dass das eher eine ziemlich leere Worthülse ist, die wie Augustinus ja eigentlich mit seinem,

Gast: mit seinem Ausspruch über die Zeit so nahe liegt, die man gar nicht so gut füllen

Gast: kann, wenn man danach gefragt wird.

Gast: Die Idee ist dann, von Gerechtigkeit zu sprechen, also soziale Gerechtigkeit,

Gast: Prozessgerechtigkeit, dies,

Gast: das, jenes, also das immer in einen sehr konkreten Kontext zu packen.

Gast: Und in dem Kontext gibt es natürlich auch die juristische Gerechtigkeit,

Gast: die dann tatsächlich so definiert ist, Es geht um angemessene und ausgewogene Gesetze,

Gast: adäquate Rechtsprechung und einen angemessenen Strafvollzug.

Gast: Und da fällt mir dann irgendwie schon auf, dass da die Betroffenen irgendwie

Gast: nicht drin vorkommen und es fehlt mir auch total.

Gast: Es geht überhaupt nicht darauf ein, was eigentlich, also erstens ist es sowieso

Gast: völlig fragwürdig, was sind überhaupt angemessene und ausgewogene Gesetze.

Gast: Das ist ja schon wieder eine Worthülse.

Gast: Und dann geht es auch überhaupt nicht darauf ein oder fragt sich nicht,

Gast: was nach einer Übelzufügung oder nach einer Leidzufügung, nach einer Verletzung,

Gast: nach einer gewaltvollen Handlung eigentlich gebraucht wird.

Gast: Und da geht Restorative Justice dann eben einen anderen Weg.

Gast: Also insofern, und ich sage, ich persönlich,

Gast: In meinem Erleben spreche ich von Gerechtigkeit auch oft als von so einem Gift,

Gast: das quasi die Leute dazu veranlasst, sich nicht die Frage zu stellen,

Gast: was ist jetzt hilfreich,

Gast: was könnte mir helfen, was brauche ich jetzt oder was brauchen wir,

Gast: um diese Situation zu lösen oder um dieses Problem zu bewältigen und wo sind meine Bedürfnisse,

Gast: wo sind meine Fähigkeiten, wo sind meine Grenzen, sondern sie ordnen das ein

Gast: in so eine Matrix von gerecht und ungerecht und können sich damit total selbst blockieren.

Gast: Also machen dann Dinge oder machen Dinge nicht, die ihnen guttun würden,

Gast: weil sie das ja wie ungerecht finden.

Gast: Vielleicht ist das jetzt ein bisschen abstrakt, ich kann mal so ein Beispiel machen.

Gast: Wenn einem ein Leid zugefügt wurde, könnte es ja sein, dass es einem guttun

Gast: würde, mit der leidzufügenden Person, also mit der tatverantwortlichen Person, ein Gespräch zu führen,

Gast: um die zu fragen, warum sie das gemacht hat zum Beispiel.

Gast: Und es könnte sein, dass das bedeutet, dass man sich darum bemühen muss,

Gast: dass man irgendwie voll die Anstrengung unternehmen muss, um das zu bekommen.

Gast: Und dann könnte man sagen, dass das ja voll ungerecht ist, dass wenn man jetzt

Gast: Opfer geworden ist, dass man dann auch noch was tun muss.

Gast: Natürlich das ungerecht irgendwie.

Gast: Also vor allem, wenn man als Opfer einer Tat auch noch Verantwortung dafür die

Gast: Lösung übernehmen muss. Das hört sich das erstmal voll ungerecht an.

Gast: Ja, aber ist denn die Matrix gerecht, ungerecht irgendwie eine,

Gast: die uns hier weiterhilft?

Gast: Oder ist nicht die Frage, hey, würde dir das gut tun? Könnte dir das was bringen?

Gast: Also fühlst du dich dabei vielleicht auch empowert? Könnte dir der Weg dahin

Gast: auch irgendwie mit Unterstützung irgendwie, könnte dir das weiterhelfen?

Gast: Würdest du dich dadurch vielleicht auch besser fühlen?

Gast: Die Frage ist dadurch verbaut wenn ich mir dann die nicht stelle oder wenn ich

Gast: das in diese Matrix recht ungerecht einordne und das ist doch schade,

Gast: das meine ich mit dann blockiert man im Prinzip sein eigenes Wohlergehen.

Paul: Das finde ich total interessant, weil diese Verengung des Blicks,

Paul: die du da gerade beschreibst, das ist,

Paul: wenn ich dir jetzt gerade zuhöre, ja so, dass wir tatsächlich alle irgendwie

Paul: so fast eher ein Gefühl als eine Vorstellung von Gerechtigkeit haben.

Paul: Und ich habe da heute Morgen auch nochmal drüber nachgedacht und habe das Gefühl,

Paul: es geht ganz oft darum, Dinge, also Gleiches mit Gleichem zu vergelten auf eine Art.

Paul: Also wir kommen aus so einer Denktradition, Auge um Auge, Zahn um Zahn und Leid,

Paul: zugefügtes Leid soll mit Leid irgendwie ausgeglichen werden.

Gast: Herzlichen Dank an die katholische Kirche für diese Ideologie.

Paul: Ja, gern geschehen.

Gast: Wobei das ist schon auch alttestamentarisch, aber dass das uns heute so bestimmt,

Gast: ist tatsächlich päpstliche Politik aus dem 10. Jahrhundert.

Daniel: Aber es ist ja schon auch tief in uns drin, weil ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen.

Daniel: In der Auseinandersetzung mit der Frage ist mir irgendwie so für mich aufgefallen,

Daniel: ich habe mir diese Frage glaube ich noch fast gar nie gestellt,

Daniel: was gerecht ist oder was Gerechtigkeit ist.

Daniel: Weil es irgendwie so, wenn man darüber nachdenkt, zumindest im eigenen Kopf,

Daniel: ist es irgendwie so, ja, aber es ist doch klar, das steht doch im Gesetz.

Daniel: Oder es ist so, man hat so eine Vorstellung davon, was gerecht ist.

Daniel: Wenn jemandem was passiert oder wenn jemand sozusagen ermordet wird,

Daniel: dann gibt es Gerichte, die darüber rechts sprechen, was Gerechtigkeit sozusagen.

Daniel: Also man nimmt es so hin, das ist einfach so, das ist wie so,

Daniel: das ist ganz tief in uns drin, das ist wie so eine gelernte,

Daniel: ich will nicht Kultur sagen, aber es ist einfach, das ist total gelernt.

Daniel: Also ich habe mir in meinem Leben bisher sehr wenig Gedanken darüber gemacht,

Daniel: was, über diese Frage, was ist Gerechtigkeit?

Gast: Genau und ist aber denn Recht immer gerecht?

Gast: Also es gibt ja auch im Deutschen dieses Sprichwort von, also wie geht das nochmal, gerecht?

Paul: Weiß es nicht genau, aber ich weiß, dass Juristen selber sagen,

Paul: Recht ist nicht gerecht oder ist nicht gleich gerecht.

Paul: Und was mich nochmal interessieren würde, da zu gucken.

Gast: Recht haben heißt nicht Recht kriegen. Genau, das ist das Sprichwort.

Gast: Und Recht ist nicht automatisch gerecht.

Gast: Und die Frage, die sich ja auch stellt, sozusagen, ja, du hast jetzt Beispiel

Gast: genommen von, ist jemand ermordet worden, was wäre denn jetzt die gerechte Antwort

Gast: da drauf? Und es gibt die Antwort, die darauf gegeben wird, nach Gesetz.

Gast: Diese Gesetze sind ja ausgedacht. Also die sind ja auch in jedem Staat anders.

Gast: Also nicht nur geografisch unterschiedlich, sondern auch temporal unterschiedlich.

Gast: Also die verändern sich ja auch mit der Zeit.

Gast: 1975 erst wurde homosexuell sein nicht mehr als strafbar angesehen.

Gast: Das kommt uns heute absurd vor, aber irgendwie vor 50 Jahren war das nicht so absurd.

Gast: Und dann, okay, wenn jetzt jemand ermordet wurde, was wäre denn jetzt die gerechte

Gast: Antwort, dass man den dann auch umbringt?

Gast: Das wäre sozusagen diese Auge-Zahn-um-Zahn-Logik.

Gast: Irgendwie, wenn ich die auf die Nase haue, dann muss mir auch auf die Nase gehauen

Gast: werden. Und da ist ja die Frage, was soll das denn bringen?

Gast: Und dann übersetzt man das in so modernen Rechtssystemen in so, okay,

Gast: also wir machen keine körperliche Züchtigung mehr, das ist irgendwie vorbei,

Gast: Foucault und so hat das irgendwie ja auch schön beschrieben,

Gast: wie das verändert wurde in Überwachen und Strafen.

Gast: Und heute gehen wir nicht mehr auf diese körperlichen Strafen,

Gast: sondern auf die Disziplinierung der Leute.

Gast: Dann wie viele Jahre Gefängnis sind ein Menschenleben wert? Kannst du das beziffern?

Daniel: Nein, kann ich nicht beziffern.

Gast: Und wie viel Euro kostet eine gebrochene Nase?

Gast: Also es gibt Schmerzensgeldtabellen, aber das ist ja auch ausgedacht.

Gast: Und was halt jedes Mal nicht vorkommt ist,

Gast: was ist mit den Betroffenen und Hinterbliebenen, was brauchen die denn?

Gast: Und weil du, das hast du ja selber gerade so beschrieben, dass das so tief in

Gast: einem drin ist, dass man das gar nicht hinterfragt, stellt man sich die Frage

Gast: nie, was brauche ich denn eigentlich?

Gast: Was würde mir denn helfen oder guttun?

Gast: Und dann denken viele Leute, das merke ich in meinen Veranstaltungen immer wieder,

Gast: dass Rache ihnen guttun würde.

Gast: Dass es ihnen guttun würde, die andere Person leiden zu sehen und dass sie dann

Gast: irgendwie beruhigt, befriedigt oder sonst irgendwas wären.

Gast: Und tatsächlich ist das äußerst selten der Fall.

Gast: Also das ist ja auch irgendwie logisch. Wenn du jetzt dir das ein bisschen theoretisch

Gast: anguckst, es gibt einen norwegischen Kriminologen,

Gast: Nils Christi heißt der, der ist leider vor einigen Jahren gestorben und war

Gast: so eine sehr wichtige Stimme, ein großer Pionier vielmehr der Theorie von restorative justice.

Gast: Und der nennt Strafe organisierte Leitzufügung. Und er erklärt das so,

Gast: naja, da hat jemand jemand anderem Leid zugefügt und was ist unsere Reaktion darauf?

Gast: Wir fügen dann dem auch Leid zu. In der Idee, dass das dann irgendwie ein Ausgleich

Gast: ist oder dass damit irgendwie Gerechtigkeit geschaffen ist.

Gast: Aber das Einzige, was wir haben jetzt, und das ist ja auch, ich nenne das die

Gast: Lüge der Strafjustiz mit ihrem Bild von der Waage.

Gast: Die Waage ist aus dem Gleichgewicht geraten, weil da ein Unrecht passiert ist,

Gast: eine Straftat passiert ist.

Gast: Und jetzt muss diese Waage wieder ins Gleichgewicht gebracht werden.

Gast: Und das machen wir, indem wir jetzt dem Übelzufüger, der Übelzufügerin auch übel zufügen.

Gast: Wie soll ich sagen? Das macht aber eigentlich eine Situation,

Gast: die in einer mechanischen, tatsächlich existierenden Waage nicht möglich ist.

Gast: Das würde nämlich bedeuten, dass beide Waagschalen nach unten gehen,

Gast: denn jetzt haben wir auf beiden Seiten Leid.

Gast: Und um eine Waagschale, die nach unten gegangen ist, wieder nach oben zu bringen,

Gast: muss man sich doch viel mehr fragen, was braucht diese Person,

Gast: wie kann man die wieder abliften?

Gast: Also sozusagen, man kann das ja sich wirklich bildlich vorstellen,

Gast: da ist jemand quasi am Boden zerstört.

Gast: Und dann ist doch nicht die Lösung, ich setze jemanden daneben und zerstöre

Gast: den auch am Boden, sondern dann ist doch die Lösung, wie kann ich diese Person wieder aufhelfen?

Gast: Das würde die Waage ins Gleichgewicht bringen. Und am besten wäre das natürlich,

Gast: wenn die Person, die das Leid zugefügt hat, sich daran beteiligt,

Gast: sich darum bemüht, dieses Aufhelfen zu organisieren oder es sogar selbst zu machen.

Paul: Also wenn wir aufhören würden, Leid mit Leid auszugleichen und den Blick erweitern,

Paul: wie wir das gerade schon gesagt haben, was würden wir denn dann anfangen zu sehen?

Paul: Also wie kann das gelingen, du hast gerade von Uplifting gesprochen,

Paul: wie kann das gelingen, Leute abzuliften, zu empowern?

Gast: Das kann man jetzt nicht so pauschal beantworten, weil ja jede Situation einzigartig

Gast: ist und jeder Mensch was anderes braucht und noch dazu in jeder Situation ja was anderes braucht.

Gast: Es gibt natürlich sowas wie einen roten Faden, von was Betroffene üblicherweise

Gast: brauchen, wenn sie irgendwie eine Gewalterfahrung gemacht haben und Gewalt ist hier sehr weit gefasst.

Gast: Also das bedeutet auch sowas wie Diebstahl oder verbale Beleidigungen oder sowas.

Gast: Also wirklich so Gewalt als einen Akt des Willensaufzwingens.

Gast: Ich mache was mit dir oder mit deinem Eigentum oder in deinem Umfeld gegen deinen

Gast: Willen und ohne dich gefragt zu haben.

Gast: Und was üblicherweise von Leuten gebraucht wird, es gibt mittlerweile ja so

Gast: eine Forschungszweig dazu, das heißt Viktimologie, also Forschung zur Opferwerdung,

Gast: ist Anerkennung dafür, dass das nicht okay war.

Gast: Also, dass das ein Unrecht war oder ein von der Gesellschaft nicht akzeptables

Gast: Verhalten und nicht ein Unglück wie eine Naturkatastrophe.

Gast: Da kann man ja auch Opfer von werden, aber da ist erstmal direkt niemand für verantwortlich.

Gast: Dann,

Gast: Und die Möglichkeit der Person, die dafür verantwortlich ist,

Gast: ins Gesicht zu sagen, face to face am besten, was es bedeutet hat,

Gast: was es für Auswirkungen hatte.

Gast: Drittens, die Fragen stellen zu können. Üblicherweise Fragen wie,

Gast: warum hast du das gemacht? Wie ist es dazu gekommen?

Gast: Was hast du noch gemacht, wenn es irgendwie um ein komplexeres Tagesgeschehen

Gast: geht? Was hast du noch gemacht, von dem ich vielleicht nicht weiß?

Gast: Würdest du das wieder machen? Muss ich Angst vor dir haben?

Gast: Üblicherweise fragen zum Beispiel, wenn Leute aus der Haft entlassen werden,

Gast: dass Betroffene, da sie nie eine Form von Austausch mit der Person hatten,

Gast: nur so ein Monster in ihrem Kopf leben haben und furchtbare Angst vor der Person

Gast: haben und davon ausgehen, dass die nur darauf wartet, ihnen wieder Leid zuzufügen.

Gast: Und das ist einfach total hilfreich, wenn man das mal abgleicht,

Gast: um rauszufinden, die Person ist schon längst am ganz anderen Punkt und vielleicht

Gast: tut es ihr sogar wahnsinnig leid, was sie gemacht hat.

Gast: Wenn man das nicht macht, kann man das natürlich nicht wissen.

Gast: Und dann noch sowas wie, also sehr viele Betroffene sind große KämpferInnen für Prävention.

Gast: Was können wir tun? Wie können wir dafür sorgen? Wie kannst du dafür sorgen,

Gast: dass du das nicht nochmal machst?

Gast: Nicht mir gegenüber und auch niemand anderem gegenüber.

Gast: Und zu guter Letzt Reparation Wiedergutmachung symbolischer finanzieller, materieller Art.

Gast: Das sind so, dann kann es noch ganz viele andere Sachen geben,

Gast: aber das sind mal so fünf oder sechs Sachen.

Gast: Übliche, sage ich jetzt mal, klassische Opferbedürfnisse.

Gast: Und sich diese Fragen zu stellen und vielmehr eine Situation zu schaffen,

Gast: in der Betroffene, und das sind ja oft nicht nur unbedingt,

Gast: wenn jetzt Paul Daniel auf die Nase haut, dann ist ja nicht nur Daniel betroffen

Gast: und hat eine kaputte Nase,

Gast: sondern wenn wir beide, die hier noch sitzen, zugucken, sind wir ja vielleicht

Gast: auch schockiert und betroffen und wissen nicht mehr, ob wir irgendwie Paul vertrauen können.

Gast: Und wenn du jetzt deswegen irgendwie zwei Wochen lang irgendwas nicht machen

Gast: kannst, was wiederum Auswirkungen auf andere Leute hat, dann sind die ja auch

Gast: irgendwie mit betroffen.

Gast: Und den Blick zu erweitern darauf so, hey, wer ist denn alles betroffen und

Gast: was brauchen diese Leute?

Gast: Und in wessen Verantwortung ist es, dafür zu sorgen, diese Bedürfnisse zu erfüllen.

Gast: Und das sind schon die klassischen Fragen von Restorative Justice.

Gast: Ich wiederhole die nochmal.

Gast: Wer wurde verletzt und wodurch? Was brauchen die Betroffenen und Beteiligten?

Gast: Und in wessen Verantwortung liegt es, dafür zu sorgen?

Gast: Und dann sind wir in einer ganz anderen Matrix drin.

Gast: Nicht mehr in einer Matrix von, was ist richtig und falsch, was ist gut und

Gast: böse, was ist gerecht oder ungerecht, sondern jenseits davon.

Gast: Wir gehen völlig raus aus dieser ganzen Art zu denken.

Gast: Es gibt so ein wunderschönes Zitat von Philosophen, diesmal ist es Rumi,

Gast: ein persischer Philosoph-Sufi-Dichter, der gesagt hat, jenseits von richtig

Gast: und falsch ist ein Ort, an dem werden wir uns treffen.

Gast: Und das ist für mich wie so ein Leitsatz für restorative justice.

Gast: Es geht nicht mehr um richtig und falsch, sondern es geht um Betroffenheit und

Gast: Verantwortung und Wiedergutmachung und Heilung.

Daniel: Das hört sich erstmal wie ein totaler, wenn ich das so sagen darf,

Daniel: so salopp wie ein totaler No-Brainer an,

Daniel: wenn du so darüber sprichst, was man eigentlich so braucht als Opfer und aber

Daniel: auch sozusagen, als du hast vorher gesagt, Tatverursachen der Person,

Daniel: was ich auch irgendwie total, also warum,

Daniel: nee, da kommen wir gleich sozusagen irgendwie nochmal drauf.

Daniel: Du hast ja gerade gesagt, Props gehen an die katholische Kirche.

Daniel: Das ist in unseren Köpfen. Wenn man dich so reden hört.

Daniel: Also ich denke mir so, ja klar braucht es das.

Daniel: Aber es scheint ja anders gelöst oder geregelt zu sein.

Daniel: Können wir vielleicht nochmal so ein bisschen da drauf gehen,

Daniel: woher das kommt und warum das so sehr in unseren Köpfen drin ist,

Daniel: dass wir da tatsächlich nicht so agieren, also auch im System,

Daniel: wie du das gerade geschildert hast,

Daniel: sondern dass es Vorkämpferinnen und Aktivistinnen geben muss,

Daniel: so wie du eine bist, die sozusagen sowas fordern.

Gast: Das ist natürlich komplexe.

Daniel: Ja, es ist super komplex.

Gast: Historische und theoretische Auseinandersetzung.

Daniel: Aber warum ist das in unseren Köpfen so?

Gast: Ja, also pass auf, man kann so ein paar Stränge vielleicht mal erzählen.

Gast: Ich will jetzt nicht sagen, dass ich das jetzt allumfassend erkläre.

Gast: Aber so ein paar Stränge kann man vielleicht mal erzählen.

Gast: Ein Strang ist die erwähnte katholische Kirche.

Gast: Also im Prinzip müsste man sagen, ein Strang ist die Bibel und ein bestimmtes

Gast: Denken aus dem mesopotamischen Raum zu dieser Zeit, das sich irgendwie so durchgezogen hat.

Gast: Was ein geografisch besonderes Denken dieses geografischen Raumes ist,

Gast: weil es gibt über den Globus verteilt ganz, ganz viele Gesellschaften,

Gast: die jahrtausendelang überhaupt nicht so funktioniert haben.

Gast: Also da kommen wir vielleicht später drauf, so restorative practices,

Gast: also Verfahren der restorative justice, vielleicht müssen wir auch noch drüber

Gast: reden, was das überhaupt heißt, restorative justice, aber können wir ja gleich machen,

Gast: beziehen sich ganz viel auf indigene Gerechtigkeitspraxen oder indigene Justizsysteme.

Gast: Und die funktionieren eben viel mehr nach diesem, eigentlich ja Karl Marx,

Gast: schon noch ein Philosoph, Karl Marx, ein Ausbruch von jeder nach seinen Fähigkeiten,

Gast: jeden nach seinen Bedürfnissen.

Gast: Wäre ja eine Gerechtigkeitsvorstellung übrigens, finde ich sehr interessante,

Gast: die mit Restore of Justice sehr kompatibel ist. Das heißt...

Gast: Das ist nicht eine menschheitsgeschichtliche Konstante, dass man so mit Sachen

Gast: umgeht, wie wir das jetzt tun, sondern das ist eine Besonderheit,

Gast: die sich dann da durchgezogen hat. Und jetzt vielleicht fast forward, 10.

Gast: Jahrhundert gibt es Machtbestrebungen der katholischen Kirche,

Gast: mehr auch weltliche Macht zu bekommen und sich stärker in die Geschäfte quasi

Gast: der Machthaber ohne innen einzumischen.

Gast: Und da gibt es eine Bulle, wie man das nennt, wo ich weiß nicht mehr,

Gast: wie der Papst hieß, sagt,

Gast: es geht darum, die Herrschaft über die Seelen der Leute zu bekommen und das,

Gast: was sie gerne hätten, ist sich einmischen zu dürfen in das Rechtssystem.

Gast: Bis dahin, auch im Römischen Reich übrigens, gibt es nicht viele Gesetze und

Gast: es gibt kein Strafgesetz.

Gast: Keine Strafjustiz, es gibt keine Strafjustiz, sondern die allermeisten Sachen

Gast: werden einfach, so wie wir das heute, was wir heute als zivilrechtlich ansehen würden, geklärt.

Gast: Also wie viele Kühe hast du mir gestohlen, so viele Kühe schuldest du mir oder

Gast: kannst du mir irgendwas anderes geben und dann wird das vor irgendeinem Ortsvorsteher

Gast: oder so, sage ich jetzt mal ganz lapidar,

Gast: bitte HistorikerInnen nicht auf mich

Gast: losgehen, ich versuche das stark zu vereinfachen, wurde das so gelöst.

Gast: Und das haben die Leute irgendwie weiterhin einfach so gelöst und dann sagt

Gast: die katholische Kirche, nein,

Gast: eine Leidzufügung gegenüber einem anderen Menschen ist nicht nur eine Verletzung

Gast: eines anderen Menschen, sondern eine Verletzung von göttlichem Recht.

Gast: Es ist eine Verletzung von göttlichem Recht, das bedeutet, es ist eine Sünde.

Gast: Und Sünden kann man nicht wiedergutmachen, die kann man nur büßen.

Gast: Das heißt, man muss sühnen, das heißt, man muss dem Beispiel Jesu Christi folgen

Gast: und für seine Sünden was? Leiden.

Gast: Und daher kommt diese Idee in unseren Köpfen, dass Leute, die was Schlimmes

Gast: gemacht haben, im Gegenzug dafür leiden müssen.

Gast: Diese Ideologie ist keine menschheitsgeschichtliche Konstante und wird auch

Gast: heute in vielen Gesellschaften anderswo auf der Welt überhaupt nicht so praktiziert. Vielen Dank.

Gast: Und so, das ist der eine Strang. Du hast mich gerade so gefragt, wieso ist das so?

Paul: Eine kurze Anmerkung dazu, was mir gerade auffällt, ist ja auch,

Paul: dass es nicht nur darum geht,

Paul: quasi Sünde mit Leid zu sühnen, sondern auch sich gewissermaßen der Adressat

Paul: geändert hat, weil es nicht mehr gegen andere Menschen geht, sondern gegen Gott.

Gast: Genau.

Paul: Oder gegen eine höhere Instanz.

Gast: Genau, das ist, wenn du so willst, sind das die Wurzeln der Strafjustiz, weil die natürlich,

Gast: was dann auch passiert ist, dass es nicht mehr ein Zivilverfahren ist,

Gast: wo sich quasi die beiden Parteien gegenüber sitzen,

Gast: sondern so Ursprünge der Staatsanwaltschaft, das Opfer wird dann verdrängt und

Gast: vertreten durch die Vertretung der Kirche und dieses ursprünglich mal gezahlte

Gast: quasi Schadensersatzgeld,

Gast: Schmerzensgeld, was auch immer,

Gast: wird dann auch nicht mehr an das Opfer gezahlt, sondern geht dann als Strafe

Gast: an den Staat, an den Kaiser, an die Kirche, an wie noch immer.

Gast: Das heißt, das ist hier eine doppelte Enteignung. Das ist auch sozusagen ein

Gast: zentraler Teil von Restore of Justice Theorie, was Nils Christi und andere so

Gast: herausgearbeitet haben.

Gast: Nils Christi nennt das die Enteignung der Konflikte.

Gast: Wir wurden als Menschen unserer Konflikte enteignet durch die Justiz und dabei

Gast: wird das Opfer vollumfänglich von Profis und Staatsvertretern vertreten.

Gast: Also sowohl spielt das keine Rolle mehr im Prozess, da sitzt dann die Staatsanwaltschaft,

Gast: es bekommt nicht mehr den Schadensausgleich, sondern eine Person zahlt Strafe an den Staat.

Gast: Und es hat einfach gar keine Stimme mehr. Es hat nichts mehr zu sagen in seinem

Gast: eigenen Leid. Das ist doch totaler Wahnsinn und das halten wir für normal.

Gast: Ich finde es, je mehr ich darüber nachdenke, finde ich das super abgefahren.

Gast: Genau, und also ein anderer Strang, das zu erzählen, warum ist das heute so, ist, dass...

Gast: Dass das was mit der Herausbildung von Staaten und Justizsystemen zu tun hat

Gast: und dass staatliche Organisierung von Gesellschaften immer was mit Macht und

Gast: Herrschaft zu tun hat und dass die Justizsysteme natürlich auch ein Teil davon ist,

Gast: eine bestimmte Form von Herrschaft aufrechtzuerhalten.

Gast: Das ist eine sehr wichtige Form der Analyse von vor allem Leuten aus der schwarzen

Gast: Community zum Beispiel,

Gast: also Black Radical Theory und ähnliches, darauf hinzuweisen,

Gast: dass the system is not broken, the system works as designed.

Gast: Und das heißt, es ist sowohl rassistisch als auch sexistisch als auch armenfeindlich, klassistisch.

Gast: Es ist dafür da, eine herrschende Ordnung zu verteidigen und aufrecht zu erhalten

Gast: und diese herrschende Ordnung ist so strukturiert.

Gast: Das heißt, die Leute, die in dieser herrschenden Ordnung die Macht haben,

Gast: haben auch sehr wenig Interesse daran, dass sich das ändert,

Gast: weil sie dann Macht abgeben müssten.

Gast: Und das bedeutet, dass sehr viele von so Sachen, die wir irgendwie skandalös

Gast: finden, halt einfach dazugehören. Also es muss einfach immer wieder die Nachricht herausgegeben werden.

Gast: Es muss immer wieder den Leuten gezeigt werden, nee, du bist hier unten.

Gast: Deswegen haben wir diese ganzen völlig...

Gast: Jetzt das Wort zu benutzen, ungerechten Urteile, wo irgendwie,

Gast: also kann man ja sich in Analysen angucken,

Gast: Arme immer schärfer verurteilt werden als Reiche, Schwarze schärfer verurteilt

Gast: werden als Weiße, Frauen nicht ernst genommen werden, Transgender und Queer

Gast: People stärker verurteilt werden als Straight People und so weiter und so fort.

Gast: Das hat System, das ist so gemacht.

Gast: Also natürlich sagt das Gesetz irgendwie, vor dem Gesetz sind alle gleich und

Gast: so, aber das ist ja irgendwie nur so eine Art Kosmetik, um zu vertuschen,

Gast: dass es eigentlich um was anderes geht.

Gast: Das hört sich jetzt ein bisschen verschwörungstheoretisch an vielleicht,

Gast: aber tatsächlich funktioniert Herrschaft ja halt einfach so.

Gast: Also vor allem in so demokratischen Systemen etwas zu behaupten,

Gast: woran sich dann alle abarbeiten können. Also zu behaupten, wir sind doch demokratisch.

Gast: Aber tatsächlich, wie viele Mitentscheidungsmöglichkeiten haben wir denn?

Gast: Und da ist ja immer, wer die Macht hat, hat die Macht. Und wer die Macht hat,

Gast: hat das Recht. Hat von Thronstein Scherben gesungen.

Paul: Ich finde es so interessant, weil das, was du gerade erzählt hast über die Herrschaft,

Paul: die die katholische Kirche über die Seelen erlangen wollte, das ist jetzt sozusagen

Paul: den Blick auf das System gerichtet und ich finde es so interessant,

Paul: dass wir das alle so wahnsinnig doll verinnerlicht haben selbst.

Paul: Also nicht nur, dass wir das als Individuen ja auch glauben,

Paul: das ist jetzt nicht nur das System, was irgendwie von oben sagt,

Paul: so ist es und so wird es gemacht, sondern unser Impuls ist ja auch zu strafen

Paul: und zwar so weit merke ich manchmal an mir selber, dass man sich ja auch selber bestrafen möchte.

Paul: Also wenn man was falsch gemacht hat, dass man sich auf irgendeine Form sozusagen

Paul: selbst ohrfeigen, das ist ja da auch im Sprachgebrauch mit drin.

Paul: Und ist es gewissermaßen auch dieses Denken nicht nur eine Herrschaft über die

Paul: Seelen, sondern mittlerweile fast irgendwie eine Herrschaft über unsere Herzen auch geworden.

Gast: Das ist, finde ich, eine der wichtigsten Übungen eigentlich,

Gast: wenn man so anfängt, sich damit auseinanderzusetzen.

Gast: Und da gehört ganz viel eigentlich die Arbeit von Marshall Rosenberg,

Gast: dem Begründer der gewaltfreien Kommunikation, mit rein,

Gast: wo es ganz viel darum geht, das in sich zu entdecken und zu sagen,

Gast: okay, das ist nicht nett zu dir, wenn du dich selber bestrafst.

Gast: Da hast du dann kein positives Bild von dir selber.

Gast: Und das ist Gewalt, die du dir gegenüber selbst antust.

Gast: Find doch mal raus, was war es denn, was du dir damit erfüllen wolltest.

Gast: Und das ist vielleicht so ein Strang, den ich total wichtig fand.

Gast: Finde in eurer Frage, die ihr eingangs so gestellt habt.

Gast: Was kann man denn machen?

Gast: Wie kann man denn darauf gucken? Und das ist für mich so ein,

Gast: kleines Element, ein Baustein, der aber sehr wichtig ist, ohne den das ganze

Gast: Gebäude zusammenfällt, ist die Überzeugung, dass hinter allen Handlungen,

Gast: Bedürfnisse stecken.

Gast: Und dass vor allem Gewalt ein tragischer Ausdruck unerfüllter Bedürfnisse ist,

Gast: wie Marshall Rosenberg sagt.

Gast: Und ich glaube sozusagen so als Handlungsanleitung, so dieses erste so,

Gast: wie komme ich denn da rein, ist so, ey, versuch doch mal in deinen eigenen Handlungen,

Gast: aber auch in den Handlungen anderer Leute, selbst wenn sie dir zutiefst unsympathisch

Gast: sind und du es erstmal nicht nachvollziehen kannst, wie jemand auf diese Idee

Gast: kommen kann, zu ergründen,

Gast: was für ein Bedürfnis hat sich die Person damit vielleicht erfüllt.

Gast: Und dann muss man aber vorsichtig sein, weil Marshall Rosenberg hat einen sehr

Gast: konkreten Bedürfnisbegriff und der ist auch wichtig da drin.

Gast: Das heißt, Bedürfnisse sind positiv formuliert und universal und abstrakt.

Gast: Das heißt, Porsche fahren ist kein Bedürfnis, sondern eine Strategie zur Erfüllung

Gast: eines Bedürfnisses und das könnte zum Beispiel Anerkennung sein,

Gast: weil Anerkennung ist universal, können alle sich darunter was vorstellen,

Gast: ist abstrakt und ist ein positives,

Gast: eine positive Idee.

Gast: Und ein anderer Porsche-Fahrer erfüllt sich damit vielleicht was anderes und

Gast: ich würde mir Anerkennung nicht mit Porsche-Fahren erfüllen.

Gast: Sondern hätte dafür andere Strategien.

Gast: Und wenn du dir jetzt irgendwie Leute überlegst, die gerade sehr schlimme Dinge

Gast: tun und die du überhaupt nicht nachvollziehen kannst, dann ist der Weg zum Erkennen,

Gast: welche Bedürfnisse stecken dahinter, oft nicht so leicht.

Gast: Also es ist nicht so, ah klar, man kann das sofort direkt sehen,

Gast: sondern man muss da manchmal ein bisschen...

Gast: Tiefer graben und verschlungenere Wege gehen, weil das sich oft sehr verschlungen,

Gast: so einen Ausdruck sucht.

Gast: Weil unerfüllte oder erfüllte Bedürfnisse machen erstmal Gefühle.

Gast: Also das ist jetzt so GFK-Theorie.

Gast: Wenn das Anerkennungsbedürfnis im Mangel ist, dann macht das vielleicht das Gefühl von Wut.

Gast: Und wenn ich dann wütend bin, haue ich vielleicht irgendwas kaputt.

Gast: Und es ist für eine außenstehende Person erst mal nicht erkennbar,

Gast: dass hinter dem, dass ich was kaputt gehauen habe, irgendwie mein Mangel in

Gast: der Anerkennung gesteckt hat.

Gast: Weil erst mal muss ich sozusagen, und der Zugang in der GFK-Theorie,

Gast: das ist der Zugang darüber, dass man rausfindet, was ist denn das Gefühl?

Gast: Und wenn man das Gefühl erkannt hat, dann kann man gucken, okay,

Gast: und was hat denn dieses Gefühl ausgelöst?

Gast: Welcher Mangel hat das dazu geführt?

Gast: Also mal so ganz grob. Und ich finde, das ist so ein kleines Ding,

Gast: was man irgendwie so immer machen kann, bei sich selber und bei anderen,

Gast: um irgendwie rauszugehen aus diesem richtig falsch,

Gast: Gleiches mit Gleichem vergelten und so, sondern erstmal so anerkennen,

Gast: alle Menschen haben Bedürfnisse und die sind alle gleich wichtig und unerfüllte

Gast: Bedürfnisse führen zu können,

Gast: zu dramatischen Situationen führen.

Daniel: Wenn ich das so sagen darf, Risi, ich finde, du bist der perfekte Gast für unsere

Daniel: erste Sendung. Ich könnte mir das überhaupt nicht schöner vorstellen.

Daniel: Also für mich, weil ich finde, wir haben angefangen mit diesem abstrakten Begriff

Daniel: oder dieser abstrakten Begriffsbeschreibung zur Gerechtigkeit.

Daniel: Und so wie du das beschreibst und so wie du sozusagen über diese Themen sprichst,

Daniel: machst du die Köpfe, zumindest meinen Kopf, irgendwie total auf.

Daniel: Das finde ich total wundervoll und deswegen lass uns doch nochmal ganz kurz,

Daniel: du hast jetzt über Gerechtigkeit gesprochen, wir haben darüber gesprochen,

Daniel: wo kommt das eigentlich her.

Daniel: Lass uns doch davon sozusagen jetzt auf Restorative Justice einmal kommen,

Daniel: dass wir einmal sozusagen oder dass du einmal darüber sprichst,

Daniel: was oder uns erklärst oder sagst, was es da für Ansätze gibt oder was dahinter

Daniel: steckt, was das für ein Begriff ist, für was das steht.

Daniel: Jetzt, wo wir wissen, wo wir sozusagen herkommen, wie Gerechtigkeit in meinem

Daniel: Kopf auch geframed ist, wenn man irgendwie so denkt, so, ja,

Daniel: nee, gerecht, ja, nee, so einfach ist es überhaupt gar nicht.

Daniel: Sondern es ist irgendwie total, es ist eigentlich total kompliziert.

Daniel: Und aber auch gleichzeitig nicht. Und vielleicht kannst du da einmal sozusagen...

Daniel: Dass wir einmal jetzt auf dieses Thema Restorative Justice kommen.

Gast: Genau, Gerechtigkeit ist irgendwie kompliziert gemacht, aber eigentlich ist es ganz einfach.

Daniel: Ja, das ist genau das, als du vorher so in der Einleitung oder in der,

Daniel: ne, so, ja, check, check, check, ja, stimmt, aber so ist es halt heute nicht.

Gast: Genau, könnte ich mit anschließen, mit Restorative Justice ist das Einfache,

Gast: was schwer zu machen ist, was Recht vom Kommunismus gesagt hat.

Gast: Weil tatsächlich, also hört es sich, es hört sich erstmal einfach an im Sinne

Gast: von leicht zu verstehen, leicht nachzuvollziehen.

Gast: Und tatsächlich ist es ja auch eine große Herausforderung.

Gast: Also restorative justice ist

Gast: ein englischer Begriff, den ich nicht auf Deutsch übersetze, weil er eine,

Gast: große Bedeutungsvielfalt hat, die auf Deutsch zu falschen Vereindeutigungen führen würde.

Gast: To restorative, to restore hat mehrere Bedeutungen.

Gast: Das eine ist heilen, das andere ist wiederherstellen und das dritte ist stärken.

Gast: Das kennen wir aus dem Wort Restaurant.

Gast: Das ist der Ort, wo man sich leiblich stärkt.

Gast: Und wenn ich es auf Deutsch übersetzen wollen würde, müsste ich mich für eine

Gast: von diesen Begriffen, für eine dieser Übersetzungen entscheiden und das wäre

Gast: eine Vereindeutigung, die ich schade finde, weil diese alle drei einfach wichtig sind.

Gast: Es geht um heilen, es geht um stärken, es geht um wiederherstellen.

Gast: Und Justice heißt ja sowohl Gerechtigkeit als auch Justiz und würde auch wieder

Gast: dafür sorgen, dass ich mich entscheiden muss. Und das ist einfach...

Gast: Wäre schade, um diese wirklich große Bedeutung, diese weitreichende,

Gast: tiefgründige Bedeutung von diesem Griff.

Gast: Restorative Justice ist eine, man sagt, es ist die größte Justizreformbewegung

Gast: der modernen Zeitgeschichte,

Gast: weil es in der Ausgangslage mal darum ging,

Gast: in vor allem Fällen von Jugendstrafverfahren andere Wege zu gehen in den 70er Jahren des 20.

Gast: Jahrhunderts. Also muss man sich vorstellen, dass das eine Situation war,

Gast: wo sowieso sehr viel gesellschaftlicher Aufbruch war auf allen Ebenen und wo

Gast: es auch eine sehr starke Justizkritikbewegung gab, eine abolitionistische Bewegung.

Gast: Also Abolitionismus heißt Abschaffung

Gast: von Gefängnis oder Abschaffung von menschenfeindlichen Institutionen.

Gast: Also da gibt es eben auch die Idee, dass man das ganze Strafrecht abschaffen könnte.

Gast: Und da sind so Leute bekannt geworden wie Michel Foucault, der wahrscheinlich

Gast: vielen Leuten was sagt, aber auch...

Gast: Thomas Matthiesen, Heinz Steinert, Luke Holzmann, der vorhin schon erwähnte

Gast: Nils Christi, aber auch Angela Davis zum Beispiel.

Gast: Also es ist eine Bewegung, die damals stark europäisch zentriert war.

Gast: Und also die Strafjustiz steht unter Beschuss, dass sie schlecht ist,

Gast: nicht gut funktioniert,

Gast: dass die Rückfallquoten zeigen, dass das alles Unsinn ist und man versucht andere

Gast: Wege zu gehen und in dem Kontext,

Gast: es gab damals schon sowas in den USA und Kanada sowas wie eine Mediationsbewegung,

Gast: also es gab schon die Idee von Mediation und Konfliktvermittlung und so ist das,

Gast: die Idee entstanden, lass uns das doch auch mal irgendwie in dem Kontext versuchen,

Gast: vor allem mit Jugendlichen, weil bei,

Gast: Jugendgericht ja immer noch so die Idee dabei ist, man muss diese Leute irgendwie

Gast: so ein bisschen erziehen und denen helfen, auf einen besseren Weg zu kommen und so.

Gast: Und Erwachsene brauchen das ja nicht mehr, komischerweise.

Daniel: Bei denen ist schon alles immer gut. Oder halt zu spät.

Gast: Oder zu spät, genau. Die können nichts mehr lernen, denen muss man nicht mehr helfen.

Daniel: Wir sprechen jetzt aber über die 70er Jahre sozusagen in Deutschland.

Gast: Ne, wir sprechen über die 70er Jahre zunächst in USA-Kanada.

Gast: Und von da aus ist es in den 80ern dann irgendwie in viele, viele andere Länder der Welt geschwappt.

Gast: Wirklich als Teil einer Justizreformbewegung.

Gast: Und die Formen, die das angenommen hat oder die dann benutzt wurden,

Gast: die haben sich sehr stark vor allem bei indigenen Justizpraxen der nordamerikanischen

Gast: First Nations inspiriert.

Gast: Vor allem der Navajo-Diné, die Selbstbezeichnung der Navajo.

Gast: Und anderen, die auch tatsächlich zum Beispiel sowas machen wie Peacemaking Circus und,

Gast: zum Teil dann Leute ausgebildet haben und das auch noch heute tun.

Gast: Also auch Weiße und andere Leute ausbilden da drin.

Gast: Und dann hat sich das irgendwie zum Beispiel auch sehr stark dann weiter in

Gast: Australien und Neuseeland verbreitet.

Gast: Das ist alles kein Zufall, dass das alles Länder sind, die kolonial weiß besiedelt

Gast: wurden und wo es noch eine,

Gast: ursprüngliche Bevölkerung gibt, die anders gelebt hat vor der weißen Kolonisierung und die,

Gast: um ihre Souveränitätsrechte kämpft und natürlich in den 60er,

Gast: 70er, 80er Jahren mit diesem starken gesellschaftlichen Aufbruch weltweit auch

Gast: für ihre Souveränitätsrechte gekämpft haben.

Gast: Und unter anderem, und ein Teil

Gast: davon ist eben das Recht, seine eigene Rechtsprechung machen zu dürfen.

Gast: Und heute sind wir in so einer Situation, wo es wirklich, also es gibt dazu

Gast: UN-Richtlinien, EU-Richtlinien.

Gast: Es gibt irgendwie jede Menge Regalmeter, Literatur zur Restorative Justice.

Gast: Es gibt ganz viele wissenschaftliche Pilotprojekte und Begleitung und Evaluierung

Gast: und hast nicht gesehen und Theorie und Praxis und was weiß ich.

Gast: Ganz viele verschiedene Formen, die sich ausgebildet haben. Aber im Kern geht

Gast: es immer, also erstens um die drei Fragen, die ich vorhin erwähnt habe.

Gast: Wer wurde verletzt und wodurch?

Gast: Was brauchen die Betroffenen und Beteiligten? und in wessen Verpflichtung ist

Gast: es oder wessen Verantwortung ist es, dafür zu sorgen.

Gast: Und im Kern geht es immer darum, sich zusammen hinzusetzen und das zu besprechen.

Gast: Und das kann halt auf verschiedene Formen passieren. Das kann eine Mediation

Gast: sein, wie im Deutschen Täter-Opfer-Ausgleich.

Gast: Das kann und das ist aber auch häufig ein sogenanntes Kreisgespräch,

Gast: weil, wie ich vorhin schon gesagt habe, es gibt ja noch mehr Leute,

Gast: die betroffen sind, als nur die Person, die auf die Nase bekommen hat.

Gast: Und je nachdem, welches Vorgehen du benutzt, wird das ein bisschen unterschiedlich ausgestaltet.

Gast: Aber im Kern ist es die Idee, dass die Verantwortlichen und die Betroffenen

Gast: und die irgendwie Beteiligten sich zusammensetzen und darüber sprechen,

Gast: was das, was passiert ist, für sie bedeutet hat und was sich jetzt daraus für

Gast: Konsequenzen ergeben müssen.

Gast: Und in der Idee immer, dass die Situation hinterher besser ist als vorher.

Gast: Also nicht, man könnte jetzt ja sagen, to restore, das klingt ja so,

Gast: als wollte man wieder dahin zurück,

Gast: wo es vorher war und vielleicht war ja vorher eine blöde Situation.

Gast: Nee, die Idee ist eigentlich, dass man dahin kommt, dass die Situation hinterher

Gast: besser ist als vorher, weil man nämlich durch dieses Konfliktgespräch,

Gast: durch dieses Durchgehen durch den Konflikt und durch den Schmerz und durch all

Gast: die Bedeutungen, die das bedeutet hat.

Gast: Etwas verstanden hat, was dazu führt, dass man hinterher anders ist als vorher.

Gast: Dass man irgendwie im besten Fall, dass die tatverantwortliche Person einen

Gast: Weg findet oder einen Weg gefunden hat, irgendwie ähnliches nicht nochmal zu machen.

Gast: Und das kann zum Beispiel auch einfach bedeuten, dass genügend Menschen an so

Gast: einem Circle teilnehmen, dass wenn es zum Beispiel um Eigentumsdelikte geht

Gast: und die Person das aus Armut heraus macht,

Gast: dass genügend Menschen daran teilgenommen haben, um irgendwie gemeinsam Ressourcen

Gast: auszuschöpfen, um der Person zu helfen, aus ihrer Situation rauszukommen.

Gast: Also da geht es auch ganz nicht nur darum, Betroffene zu unterstützen,

Gast: ihre Stimme gehört zu bekommen, ihre Bedürfnisse anzubringen und die erfüllt

Gast: zu bekommen, sondern da geht es auch ganz stark darum zu gucken,

Gast: was braucht denn möglicherweise die tatverantwortliche Person für Unterstützung,

Gast: um ähnliches nicht nochmal geschehen zu lassen.

Gast: Und das kann materielle Unterstützung sein, es kann aber auch psychische Unterstützung

Gast: sein oder emotionale Unterstützung.

Gast: Es kann sein, dass die Person umziehen muss, um aus einem Kreislauf rauszukommen

Gast: und dass da Leute dann sind, die ihr helfen, eine andere Wohnung zu finden.

Gast: Das sind so ganz banale Sachen.

Gast: Und je mehr Menschen du involvierst, desto mehr Ressourcen hast du auf dem Tisch,

Gast: um zu gucken, wie man das realisieren kann.

Paul: Ja, ich finde das total spannend, weil Daniel hat gerade schon gesagt,

Paul: es ist wie so ein No-Brainer und du hast jetzt darüber gesprochen,

Paul: dass es eben sich auch auf das Justizsystem oder auf die Justiz bezieht und

Paul: ich fühle aber die ganze Zeit eigentlich auch jetzt bei dem letzten Beispiel

Paul: so ein ganz universelles Prinzip da drin.

Paul: Und würde deswegen total gerne nochmal auch den Blick erweitern auf die Fragestellung,

Paul: wo findet dieses Prinzip vielleicht noch Anwendung?

Paul: Du hast vorhin schon den Begriff Restorative Practices genannt.

Paul: In welchen Bereichen lässt sich dieses holistischere Denken eigentlich oder

Paul: auch dieses Empfinden, diese Bedürfnisorientierung noch so einsetzen,

Paul: um vielleicht diese Prinzipien auch von Verantwortungsübernahme durch größere

Paul: gesellschaftliche Gruppen zu aktivieren?

Gast: Naja, überall da, wo Konflikte vorkommen. Es gibt keine Einschränkungen.

Gast: Also sich zusammensetzen und darüber sprechen, was passiert ist,

Gast: wer wie verletzt wurde und was für Bedürfnisse daraus entstehen und was man

Gast: damit jetzt macht, kann man da einfach überall machen.

Gast: Und tatsächlich gibt es ganz viel Erfahrung mittlerweile damit an Schulen,

Gast: vor allem in England, wo sich so eine Restorative Schools Bewegung in Anführungsstrichen

Gast: gegründet hat, mit sehr, sehr viel Erfolg, also vor allem an Schulen, die...

Gast: Großen Schwierigkeiten in sogenannten sozialen Brennpunkten zu kämpfen hatten.

Paul: Aber da geht es dann immer tatsächlich um den Austausch zwischen tatverantwortlichen

Paul: Menschen und von tatbetroffenen Menschen oder gibt es auch Beispiele dafür,

Paul: die du kennst und die du da jetzt gut findest von Situationen,

Paul: wo es vielleicht nur noch um eine Seite geht?

Gast: Du meinst jetzt erstmal nur mit der tatverantwortlichen Person?

Paul: Zum Beispiel.

Gast: Ja klar, das kann es auch geben. Also genau, was man vielleicht sagen muss,

Gast: es gibt wichtige Prinzipien, wie sowas abläuft und eine davon ist Freiwilligkeit der Teilnahme.

Gast: Das heißt, es kann natürlich immer sein, dass jemand nicht mitmachen will und

Gast: das führt dann als nächstes zu der Frage, ja und was ist, wenn die nicht wollen

Gast: und was machen wir dann und so.

Gast: Das ist tatsächlich eine offene

Gast: Frage, die sich irgendwie Menschen konkret dann stellen müssen auch.

Gast: Da gibt es keinen Masterplan für, aber das geht natürlich auch.

Gast: Also, weil wenn wir jetzt sagen, wir sind in einem konkreten sozialen Kontext,

Gast: wie zum Beispiel in der Schule oder einem Betrieb oder so und eine Person,

Gast: die jetzt irgendwie ein wichtiger Konfliktpartner ist, möchte nicht teilnehmen,

Gast: können ja trotzdem die anderen darüber sprechen, was es für sie bedeutet hat

Gast: und nach Lösungen suchen.

Gast: Und entweder die betroffenen Personen darin unterstützen, das zu überwinden

Gast: und ihre eigene Verantwortlichkeit darin sehen,

Gast: also weil möglicherweise ist es die Schulkultur oder die Firmenkultur,

Gast: wo irgendwie sexistische Witze okay sind und keiner jemals was sagt,

Gast: die irgendwie sich die Frage stellen muss, ob es...

Gast: Dazu geführt hat, dass jemand übergriffig geworden ist am Arbeitsplatz.

Gast: Also Verantwortung ist ja auch nicht nur individuell, sondern auch strukturell und kollektiv.

Gast: Und das kann andersrum sein, dass wenn die betroffene Person nicht mitmachen will,

Gast: man eben zusammen sich hinsetzt und mit der tatverantwortlichen Person darüber

Gast: spricht, was es denn braucht und was es auch mit uns allen gemacht hat, was du gemacht hast.

Gast: Also weil sowohl, ich habe das ja vorhin schon gesagt, sowohl Betroffenheit,

Gast: aber auch Verantwortlichkeit ist immer nicht nur individuell,

Gast: sondern es gibt da immer mehr Positionen drin und über die kann man ja auf jeden Fall reden.

Gast: Und dabei ist es wichtig, dass die Person, die nicht teilnehmen will,

Gast: jetzt nicht einfach wegfällt, sondern dass die irgendwie versucht wird,

Gast: irgendwie reinzuholen mit einer Stellvertreterin oder indem man auf jeden Fall

Gast: trotzdem mit ihr redet oder sie fragt, ob sie irgendwie einen Brief reinbringen will.

Gast: Also nicht einfach, dass die Person nicht einfach hinten runterfällt.

Gast: Genau. Und also ja, das war, glaube ich, deine Frage, ne?

Paul: Ja, genau, zum Teil. Also ich fand, was ich sehr inspirierend finde, ist dieser...

Paul: Und darauf, was auch die Täterperson oder die tatverantwortliche Person für

Paul: Bedürfnisse hat, was die vielleicht auch braucht, damit solche Sachen nicht mehr geschehen können.

Paul: Also im Wesentlichen, dass die Situation eigentlich besser wird.

Paul: Und jetzt kann ich mir echt auch viele Situationen vorstellen,

Paul: die nicht erstmal so einen Konflikt im Sinne einer punktuellen Konfrontation

Paul: zwischen unterschiedlichen Menschen braucht, sondern es gibt wahnsinnig viele Menschen,

Paul: denen geholfen werden könnte, ihre Situation zu verbessern und auch grundsätzlich

Paul: destruktives Verhalten.

Paul: Also jetzt nicht nur gegen einzelne Personen, gegen einen konkreten anderen Menschen gerichtet,

Paul: eigentlich zu verbessern und frage mich, ob restorative justice oder zumindest

Paul: Praktiken, die sich daran anlehnen, da auch irgendwie Sachen bereithalten,

Paul: wie Situationen grundsätzlich verbessert werden.

Gast: Ja, voll. Also genau, das ist sozusagen der Punkt, wo sich die restorative practices

Gast: von den restorative justice so abgezweigt sind,

Gast: nicht abgespalten haben, sie abgezweigt sind mit dieser Idee von,

Gast: hey, es geht nicht immer nur um justice,

Gast: sondern das braucht es ja in allen Lebensbereichen und vielleicht nicht immer

Gast: erst dann, wenn was passiert ist, sondern schon vorher.

Gast: Und vor allem auch im Kontext von Schulen und solchen Sachen kann man sehr gut

Gast: mit diesen Kreisverfahren arbeiten.

Gast: Also da muss ja nichts unbedingt passiert sein.

Gast: Also zum Beispiel eine Kreistechnik ist sowas, was wie so ein klassisches Spiegeln

Gast: ist. Ich nenne das den Dreiklang.

Gast: Das kommt aus den Restorative Circles. Das geht so, ich frage eine Person als

Gast: Circle Keeper, Als Person, die das vermittelt oder hält oder irgendwie organisiert,

Gast: womit möchtest du heute gehört werden und von wem?

Gast: Und dann sagt die Person irgendwas und dann stelle ich die Frage an die adressierte

Gast: Person oder vielleicht den ganzen Kreis, wenn es um den ganzen Kreis geht,

Gast: was ist bei dir angekommen?

Gast: Und dann sagt die Person, was bei ihr angekommen ist.

Gast: Und das ist der wichtige Unterschied, jetzt nicht Wort für Wort zu wiederholen,

Gast: was da gerade gesagt wird, sondern hey, war es bei dir angekommen?

Gast: Und das kann ja auch sein, dass bei dir nichts angekommen ist,

Gast: weil du blockiert warst im Kopf und gar nicht zuhören konntest.

Gast: Oder dass du so bewegt warst, schon mit eigenen Interpretationen,

Gast: dass bei dir was ganz anderes angekommen ist, als was die Person ausdrücken wollte.

Gast: Deswegen frage ich auch, was möchtest du gehört haben? Oder womit möchtest du

Gast: gehört werden? und nicht, ey, was willst du heute sagen?

Gast: Und dann stelle ich die Frage zurück, ist es das, womit du gehört werden wolltest?

Gast: Und dann kann die Person sagen, ja.

Gast: Und dann sage ich, und noch was? Und wenn die Person sagt, nein,

Gast: sage ich, okay, was war es dann?

Gast: Womit wolltest du gehört werden?

Gast: Und diesen drei Satz ist wieder so ein No-Brainer. Das ist total easy, ja?

Gast: Also es ist super schwer zu machen, weil es echt schwer schmerzhaft ist auch.

Gast: Aber es gibt was Einfacheres.

Gast: Es geht darum zu klären, ist das, was ich gehört habe, das, was du wolltest, dass ich höre.

Gast: Und das mache ich so lange, bis es da auf der anderen Seite kommt,

Gast: ja, damit wollte ich gehört werden, danke.

Gast: Und das kann ja halt irgendwie einfach, das muss ja kein konkretes irgendwie Ding sein.

Gast: Das kann ja einfach sein, in der Schule sowas wie irgendwie,

Gast: es stört mich, dass irgendwie manche Leute oder dass du immer lachst,

Gast: wenn Leute was Falsches sagen oder so.

Gast: Und das wäre ein Verfahren, also dieser Dreiklang aus den Restorative Circles.

Gast: Aus den Peacemaking Circles gibt es dieses mit dem Redestabreden und das ist auch nochmal eine,

Gast: es ist nicht einfach nur, man setzt sich halt in Kreis und dann hat einer einen

Gast: Redestab und dann Reden irgendwie redet, sondern es ist etwas,

Gast: was sehr lange eingeleitet wird und wo es darum geht, in eine bestimmte Position

Gast: des Sprechens zu kommen.

Gast: Also man sagt da, es wird gesagt, mit dem Herzen sprechen und mit dem Herzen hören.

Gast: Ich übersetze das gerne, weil es gibt für beides einen deutschen Ausdruck,

Gast: der heißt sein Herz ausschütten und sich etwas zu Herzen nehmen.

Gast: Das heißt, ich versuche, mich voll und ganz darauf zu konzentrieren,

Gast: wenn jemand mit dem Redestab spricht, was ich da höre, was bei mir da ankommt,

Gast: was ich denke oder was ich fühle.

Gast: Also hier ist eine Empathieübung im Prinzip, was bei der Person gerade los ist,

Gast: was die da gerade erzählt.

Gast: Und da geht es auch nicht darum zu argumentieren, sondern zu erzählen. Das sind beides Dinge.

Gast: Ganz grundlegende andere Haltungen des Miteinandersprechens,

Gast: die wir nicht gewohnt sind, weil wir generell uns, wenn wir miteinander sprechen,

Gast: eher so wie in so einem Team-Meeting miteinander sprechen.

Gast: Also ich höre dir eigentlich gar nicht genau zu und ich argumentiere.

Gast: Das ist halt nicht das Gleiche.

Gast: Und da braucht auch nichts für passiert sein, sondern da sind einfach Verfahren,

Gast: die man nutzen kann, um dafür zu sorgen, erstmal rauszufinden,

Gast: was ist denn hier eigentlich los?

Gast: Und was ich zum Beispiel häufig mit Gruppen mache, ist sie eingangs zu fragen,

Gast: dass alle mal sagen sollen, was ihnen die Gruppe bedeutet. und dann stellt sich

Gast: immer raus, dass sie da noch nie drüber gesprochen haben.

Gast: Man ist zusammen und macht irgendwas, was weiß ich,

Gast: wohnt zusammen oder macht zusammen Sport oder verfolgt zusammen irgendeine politische

Gast: Idee oder irgendein politisches Projekt oder irgendwie sowas oder macht zusammen

Gast: Kunst oder Musik oder so und hat sich aber noch nie darüber unterhalten,

Gast: was diese Gruppe eigentlich für jeden Einzelnen bedeutet.

Gast: Und das kann zum Beispiel so eine Redestabrunde sein. Und genau,

Gast: da geht es erstmal noch gar nicht darum, dass irgendwas passiert ist.

Gast: Es kann halt einfach darum gehen zu gucken, was ist denn die Basis, auf der wir stehen.

Gast: Und dann kann man von da aus irgendwie sich Dissonanzen anschauen.

Daniel: Also Restorative Justice oder diese Practices, das ist sozusagen sowas wie,

Daniel: wenn ich das so richtig verstehe, wie so ein universelles Prinzip.

Daniel: Also es ist viel mehr als nur sozusagen, also das sind ja so dicke Bretter,

Daniel: die man da bohren muss, kann ich mir vorstellen.

Gast: Die dicken Bretter sind die?

Daniel: Weil das ist alles so tief in uns drin. Also es ist einfach so,

Daniel: wenn du davon sprichst und dann frage ich die Gruppe und dann stellt die fest,

Daniel: die hat noch nie darüber gesprochen, was ihr die Gruppe, das hört sich alles so.

Daniel: Eigentlich hätte man das tun sollen, aber wir tun es nicht.

Gast: Wir haben keine Community-Culture. Wir machen uns nicht bewusst,

Gast: dass die Communities, in denen wir leben, Communities sind und dass man die

Gast: bewusst gestalten muss.

Gast: Das haben wir nicht als Westeuropäer.

Gast: Das gibt es in anderen Kulturen durchaus, dass man sich bewusst macht,

Gast: dass man in Community lebt, in Gemeinschaft lebt und dass man aufeinander angewiesen

Gast: ist und ganz viele indigene Wörter quer über den ganzen Globus drücken genau das aus,

Gast: Ubuntu ich bin, weil du bist mitakue ojasin, ich bin, weil du bist wir,

Gast: uns gibt es nur weil es den anderen gibt,

Gast: Aloha in Hawaii Immer wieder, immer wieder ist das die Bedeutung.

Gast: Wir sind in Verbindung. Wir sind in Beziehung. Es gibt uns nicht ohne den anderen.

Gast: Und wie es dem geht, hat Auswirkungen darauf, wie es mir geht.

Gast: Und wir müssen das gemeinsam bewusst gestalten. Das haben wir nicht als Idee.

Gast: Wir denken, wir treffen uns und dann diskutieren wir und dann geht das schon irgendwie.

Gast: Wir denken so viel und wir fühlen so wenig und wir denken immer,

Gast: dass es, also wir haben so viel vor, wie soll man sagen, übernommene Vorstellungen,

Gast: die wir nie hinterfragt haben.

Gast: Und das geht ja auch meistens gut. Wir können hier zu viert sitzen und irgendwie

Gast: diese Sendung machen, ohne dass wir jetzt vorher irgendwie mal einen Circle

Gast: machen mussten, was uns diese Sendung jetzt bedeutet. Das funktioniert ja auch.

Gast: Aber wenn man langfristig miteinander

Gast: irgendwas macht, das kommt immer zu Reibungen, das wissen wir alle.

Gast: Und dann ist es total sinnvoll, wenn man sich ab und zu mal darüber unterhält,

Gast: hey, was bedeutet uns das hier eigentlich und wie sehe ich mich hier drin und

Gast: was brauche ich und was brauche ich von dir und so weiter und so fort.

Paul: Was ich so interessant finde, ist, dass ich sofort so einen Reflex habe.

Paul: Also ich denke auch sofort, wenn du jetzt von den Zirkels zum Beispiel erzählst,

Paul: dass das unglaublich zeitaufwendig sich anfühlt.

Paul: Und ich habe direkt so das Gefühl, oh Gott, in den meisten Kontexten,

Paul: in denen wir so funktionieren, gibt es gar nicht den Raum dafür.

Paul: Und dann denke ich an die Meetingkultur und wie viel Zeit da so verbrannt wird.

Daniel: Bullshit geredet wird.

Paul: Also ertappt mich da schon wieder dabei, wie ich es auch in so einem Muster

Paul: festhänge und denke sofort, das geht ja gar nicht. Aber natürlich geht es.

Gast: Also genau, das ist so ein bisschen wie,

Gast: man will nicht da investieren, wo es effektiv wäre, aber da,

Gast: wo es ineffektiv ist, hat man dann kein Problem mehr zu investieren.

Gast: Man will kein gutes Sozialsystem finanzieren, hat aber kein Problem, Knäste zu bauen.

Gast: Das Knastsystem ist wahnsinnig teuer und ineffizient und gesellschaftlich gesehen

Gast: rechnet sich das überhaupt nicht.

Gast: Es wäre viel besser, einfach allen Leuten 1.000 Euro zu geben.

Gast: Es wäre billiger. Aber das geht ja angeblich nicht.

Gast: Aber neue Knäste bauen, das geht. Und dieses unglaublich teure Justizsystem

Gast: mit diesen ganzen RichterInnen und Staatsanwälten, das geht auch, komischerweise.

Gast: Und das ist teuer und ineffizient.

Gast: Vielleicht so an dem Beispiel, ich bin hier selber mal betroffen gewesen von

Gast: einer ziemlich schweren Straftat, also versuchter Totschlag,

Gast: wo ich eine Mediation dann wollte mit der Person und unser Mediationsverfahren.

Gast: Insgesamt vielleicht acht Stunden in Anspruch genommen.

Gast: Zwei MediatorInnen, ich hatte ein Vorgespräch, die andere Person hatte ein Vorgespräch.

Gast: Wir sind einmal in den Raum gegangen, um den vorher anzugucken und hatten dann

Gast: ein gemeinsames Ausgleichsgespräch, das vielleicht zwei Stunden gedauert hat.

Gast: Und danach war das aber erledigt.

Gast: Das hat im Vergleich, hat das Gerichtsverfahren sechs Verhandlungstage gedauert.

Gast: Sechs Verhandlungstage, wo ein riesiger Personalberg irgendwie mit befasst war.

Gast: Das ist ineffizient. Und die haben sechs Verhandlungstage lang über Sachen geredet,

Gast: die in meinen Augen, die nur für das Justizsystem relevant sind,

Gast: die weder für die tatverantwortliche Person noch für mich irgendeine Relevanz hatten.

Gast: Da geht es ja dann ganz oft bei so Sachen wie, da fragen die dann so,

Gast: wer ist denn jetzt zuerst irgendwie da rausgeklettert und wer hat denn,

Gast: wie lagen sie da und wie rum,

Gast: keine Ahnung, bei so Angriffen, wie rum wurde denn das Messer gehalten und so Zeug.

Gast: Das ist doch völlig wurscht.

Gast: Aber für die ist es wichtig, weil sie das gucken müssen. Ja,

Gast: aber wenn die Flasche nämlich so,

Gast: also bei den Flaschen ist das tatsächlich so ein Ding, wenn du die Flasche so

Gast: rumhältst, dass du von oben schlagen kannst, dann gilt es als,

Gast: wie soll man sagen, als erschwerend.

Gast: Während wenn du sie von unten hältst, gilt es als, du wolltest dich nur verteidigen.

Gast: Das hat dann so eine Interpretationsschleife, die für die total wichtig ist,

Gast: weil das einen Unterschied macht, ob es irgendwie vorsätzlich war oder nicht

Gast: vorsätzlich oder so ein Zeug.

Gast: Ist aber für die Leute, die irgendwie einfach da mit einer Splasche angegriffen

Gast: wurden, erstmal komplett egal.

Gast: Und da wird dann Stunden drüber diskutiert. Anyway, ich finde das faszinierend.

Gast: Ich kann mich darüber aufregen, aber ich finde es auch irgendwie lächerlich zum Teil.

Daniel: Ist das, was dir passiert ist, der Grund, warum du dich mit diesem Thema so

Daniel: beschäftigst oder hast du das davor schon getan?

Gast: Das habe ich davor schon gemacht. Und ich war sozusagen in der glücklichen Situation,

Gast: dass ich das vorher alles wusste und deswegen wusste, dass es das gibt und dass

Gast: ich also wie so ein Recht darauf habe und dass ich das einfordern kann.

Gast: Und habe das dann gemacht, musste mich aber ziemlich durchsetzen und ich brauchte

Gast: tatsächlich einen Anwalt dafür, um das Gericht davon zu überzeugen, das dann auch zu machen.

Gast: Also da geht es ja nicht darum, ob ich das darf oder nicht, sondern da geht

Gast: es darum, wer bezahlt das am Ende.

Gast: Und wenn du möchtest, dass deine Mediation bezahlt wird und du die nicht selber

Gast: bezahlst und vor allem, wenn du es schaffen willst, auch mit jemandem,

Gast: der in Haft ist, in U-Haft,

Gast: dass es überhaupt ermöglicht wird, dass man das machen kann,

Gast: dann brauchst du halt das Gericht oder die Staatsanwaltschaft, die es in Auftrag gibt.

Gast: Und das war ein Kampf. Am Ende waren sie alle froh, dass sie sich darauf eingelassen

Gast: haben und fanden das alles ganz toll.

Gast: Aber es war erst mal, musste man ihnen auf die Füße springen.

Paul: Auch der Mensch, der dir das angetan hat?

Gast: Der war sofort einverstanden. Der hat sich sehr gegrämt. Also genau,

Gast: der wusste selber nicht genau, wie er dazu kam.

Paul: Weil das wäre auch noch so eine Frage. Ich weiß nicht, ob das jetzt hier gerade zu weit führt.

Paul: Aber weil natürlich auch Menschen, die Straftaten begehen, du hast es gerade

Paul: gesagt, versuchter Totschlag, das ist ja schon sehr schwer.

Paul: Wie schafft Restorative Justice Möglichkeiten, auch die Gesellschaft vor Menschen,

Paul: die gefährlich sind, zu schützen?

Gast: Ja, das ist die berühmte, was tun mit den Dangerous Few-Frage.

Gast: Die meisten Leute sind ja nicht gefährlich.

Gast: Damit fängt es an.

Gast: Bei den meisten Sachen geht es ja um Eigentumsdelikte und irgendein situationsbedingtes Zeug.

Gast: Und das ist glaube ich das, wo man erstmal mit anfangen muss,

Gast: zu sagen, die allermeisten Leute sind nicht per se gefährlich und die allermeisten

Gast: Sachen, um die es geht im Strafjustizsystem sind überhaupt nicht gefährlich.

Gast: Die meisten Leute sitzen ein wegen

Gast: Fahnen ohne Fahnschein oder irgendwie Drogenhandel. Das tut niemandem weh.

Gast: Dann gibt es natürlich sehr schmerzhafte, sehr verletzende Sachen die übrigens

Gast: nicht alle strafbar sein müssen sondern das ist ja auch willkürlich gesetzt

Gast: im Prinzip nach bestimmten Vorstellungen der Gesellschaft, was jetzt,

Gast: Straftat ist und was halt keine ist von der Polizei verhauen zu werden tut auch

Gast: sehr weh und kann schwer traumatisierend sein, gilt aber halt nicht als Straftat so als Beispiel,

Gast: Vergewaltigung in der Ehe ist auch erst seit 20 Jahren oder 25 Jahren oder wann

Gast: das war oder 30 Jahren strafbar so.

Gast: Dann gibt es die Frage nach der Situation, die dazu geführt hat.

Gast: Und da kann man dann wieder zu dem ganz, ganz alten Sprichwort zurückkehren,

Gast: die beste Kriminalpolitik ist immer noch eine gute Sozialpolitik.

Gast: Also je mehr Leute unter Druck stehen, je mehr Leute in finanziellen Nöten sind,

Gast: je mehr Leute psychisch fertig gemacht werden,

Gast: je mehr Leute im Prinzip rumlaufen mit unerfüllten Bedürfnissen,

Gast: desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie Gewalt anwenden,

Gast: um ihrem Bedürfnis Gehör zu verschaffen. Darum geht es ja.

Gast: Wenn ich einfach gesellschaftlich große Gruppen von Leuten ausgrenze und verwahrlosen

Gast: lasse, also ihnen zum Beispiel verwehre, arbeiten zu dürfen,

Gast: wie Leuten, die einwandern oder schlechte Löhne bezahle, muss ich mich nicht

Gast: wundern, wenn dann Menschen versuchen,

Gast: auf illegalem Wege irgendwie sich ihr Einkommen zu verschaffen. Das müssen sie ja.

Gast: Man muss ja irgendwie deine Miete bezahlen und essen und so.

Gast: Und du möchtest natürlich auch nicht nur das, sondern eigentlich gesellschaftlich

Gast: teilhaben. Du möchtest auch mal ins Kino gehen können und so.

Gast: Also solche, das ist einfach so.

Gast: Kann man sich anders wünschen, es ist aber so.

Gast: Sprich, damit muss ich umgehen, dass ich dann diese Situation schaffe.

Gast: Das nächste ist, wenn ich Leute in autoritären Schulsystemen kaputt mache und

Gast: zu autoritären Charakteren erziehe, muss ich mich nicht wundern,

Gast: wenn sie dann hinterher autoritär um sich schlagen und so weiter und so fort.

Gast: Das heißt, ich schaffe diese Leute, ja, und ich schaffe auch diese Situationen

Gast: und ich habe gesellschaftliche Strukturen, die bestimmtes begünstigen.

Gast: Wenn ich das nicht mehr haben will, muss ich da ansetzen.

Gast: Ein von mir geschätzter französischer Theoretiker und Soziologe,

Gast: Geoffroy de la Garnerie, hat ein tolles Buch geschrieben, das heißt Verurteilen.

Gast: Und der bezieht sich auf Bourdieu und gibt das Beispiel, dass ein sportlicher,

Gast: etwas offensiv agierender junger Mann aus den Banlieues in Paris,

Gast: Je nachdem, wem er begegnet in seinem Leben und wie die Situationen geschaffen

Gast: sind, genauso gut ein Fußballstar wie ein Bankräuber werden kann,

Gast: weil sozusagen sein Charakter ihm beides ermöglicht.

Gast: Aber wenn er einen guten Fußballtrainer hat, wird er vielleicht einfach guter

Gast: Fußballspieler, aber wenn er mit den falschen Leuten abhängt,

Gast: wird er halt Bankräuber.

Gast: Sprich, es geht um Strukturen und Situationen. An die muss man ran.

Gast: Und das ist natürlich dann so, oh fuck, wir fühlen uns gerade alle mega ohnmächtig in dieser Welt.

Gast: Irgendwie man hat echt so das Gefühl, jedes Mal, wenn ein Problem auftaucht

Gast: und die richtige Lösung wäre, das wird nicht nur das nicht gemacht,

Gast: sondern das Gegenteil davon, sodass es noch schlimmer wird.

Gast: Und dann soll jetzt die Lösung quasi sein, hey, wir müssen an diese ganzen Themen

Gast: ran, weil nur wenn wir die so anpacken, dann haben wir wirklich eine nachhaltige Lösung dafür.

Gast: Das fühlt sich natürlich irgendwie erst mal so total unmöglich an.

Gast: Also es könnte mir das nicht gehen. Aber es hilft ja nichts,

Gast: so zu tun, als wäre es nicht so, nur weil es sich gerade unrealisierbar anfühlt.

Gast: Da würde man sich ja einfach in die Tasche lügen.

Daniel: Ja, und es würde sich ja auch nie was verändern. Deswegen sitzen wir hier ja

Daniel: auch sozusagen zusammen, um genau dem irgendwie nachzuspüren.

Daniel: Du hast vorher gesagt, dicke Bretter.

Gast: Du hast das gesagt.

Daniel: Ich habe das gesagt. Genau, ich wollte das sozusagen hier einmal reinschmeißen.

Gast: Das ist so ein dickes Bett zum Beispiel.

Daniel: Das ist es. Wie lange beschäftigst du dich schon mit diesem Thema?

Gast: Gut 20 Jahre.

Daniel: 20 Jahre. Und du sagtest gerade, als dir das selber passiert ist, hast du eingefordert.

Daniel: Weil es das Recht gibt, dass man das sozusagen einfordert.

Daniel: Also wie ist der Status quo im derzeitigen System?

Gast: Im derzeitigen deutschen Justizsystem ist es so, dass es den Täter-Opfer-Ausgleich

Gast: gibt, der sowohl in der Strafprozessordnung als auch im Strafgesetzbuch verankert ist.

Gast: Der bedeutet, dass wenn, also dem

Gast: Justizsystem geht es ja immer nur um den Beschuldigten, nie um die Opfer.

Gast: Die Täterzentrierung hat seine historischen Gründe.

Gast: Wenn die beschuldigte Person entweder Anstrengungen unternimmt,

Gast: mit der geschädigten Person einen Ausgleich zu erlangen und dafür irgendwie

Gast: sich kommunikativ einsetzt, also es kann auch sein, dass man erstmal einen Brief

Gast: schreibt oder so, man hat ja gar keinen Kontakt, man wird ja nicht in Kontakt gebracht miteinander.

Gast: Oder dass umgesetzt wird, dann kann das strafmindernd berücksichtigt werden.

Gast: Also entweder wird das Verfahren eingestellt, wenn das nur ein geringfügiges,

Gast: kleineres Delikt war und ab einem bestimmten Mindeststrafmaß ist es dann nur noch strafmindernd.

Gast: Das heißt, das muss dann in diesem ganzen Verfahren berücksichtigt werden.

Gast: Und das ist erstmal einfach nur als Möglichkeit der Handlung für Angeklagte

Gast: oder Beschuldigte vorgesehen und zwar von Anfang bis Ende,

Gast: es gibt da keine Begrenzungen,

Gast: ab dem Moment, wo du angezeigt worden bist, kannst du das machen.

Gast: Brauchst halt, damit es dir jemand bezahlt, brauchst du halt den Auftrag durch

Gast: Gericht oder Staatsanwaltschaft, die Polizei kann es nicht beauftragen.

Gast: Und dann gibt es jetzt gerade auch so Pilotprojekte für dann danach,

Gast: nach Urteilsverstreckung.

Gast: Da kann es dann um so Sachen wie Hafterleichterung oder so gehen.

Gast: Und in der Regel ist es so, dass Gerichte oder Staatsanwaltschaften,

Gast: also die sind angehalten,

Gast: die Staatsanwaltschaft ist angehalten, bei jedem Fall zu prüfen,

Gast: ob ein Täteropfer geeignet wäre und wenn das so ist, das in Auftrag zu geben.

Gast: In der Realität ist das nicht so, weil die gar nicht die Zeit haben,

Gast: sich jedes Mal diese Gedanken zu machen und weil die auch keine Ahnung davon

Gast: haben und weil die auch schwer einschätzen können, weil sie nicht verstehen, wie das funktioniert.

Gast: Und viele haben das auch einfach in der Ausbildung nie gesagt bekommen.

Gast: Aber eigentlich sind sie angehalten, jeden einzelnen Fall zu prüfen.

Gast: Das sind die Absurditäten des Justizsystems.

Gast: Und dann gibt es sogenannte Täter-Opfer-Ausgleichsstellen, Fachstellen.

Gast: Das sind manchmal freie Vereine, manchmal sind das Leute, die auch Jugendgerichtshilfe

Gast: oder Bewährungshilfe machen oder irgendwas anderes.

Gast: Manchmal sind es die sogenannten sozialen Dienste der Justiz,

Gast: wo jemand arbeitet, an denen dieser Fall dann verwiesen werden kann.

Gast: Und dann versucht diese Person, die hoffentlich eine Mediationsausbildung hat,

Gast: was auch nicht vorgeschrieben ist, entsetzlicherweise, irgendwie da was zu machen.

Gast: Also bekommt die Akte übermittelt und kontaktiert die Leute und fragt die,

Gast: ob sie da Lust drauf haben. So funktioniert das in der Regel und du kannst aber

Gast: als Betroffene oder Beschuldigte auch selber dich melden, selber das anmelden, dass du das möchtest.

Gast: Das muss dir aber nicht gewährt werden, obwohl es so eine EU-Richtlinie gibt,

Gast: die eigentlich sagt, dass die Mitgliedstaaten dafür sorgen sollen,

Gast: dass alle Betroffenen Zugang zu Restorative Justice Services haben.

Gast: Es ist aber kein vorgeschriebenes Recht, sondern nur eine Empfehlung.

Paul: Was mich nochmal interessieren würde, ist, wie das eigentlich konkret gelingen kann.

Paul: Also zum einen, glaube ich, du hattest vorhin davon gesprochen,

Paul: dass es wichtig ist, sich die Bedürfnisse anderer auch vorzustellen.

Paul: Und wenn man jetzt einer Person gegenüber tritt oder sich sozusagen gegenüber

Paul: sieht, die eine schwere Tat begangen hat oder überhaupt eine Tat,

Paul: die einen geschädigt hat, die einen verletzt hat, wie kann das gelingen?

Paul: Mit welchem Menschenbild müssen wir eigentlich in diesen Prozess gehen?

Paul: Auch uns selbst gegenüber und was ist auch für die Tat verursachende Person

Paul: eigentlich das, warum sollte die da mitmachen?

Paul: Also was ist da sozusagen Du hast gerade gesagt, man geht durch Schmerz in dem Konflikt.

Paul: Warum sollte man sich dem aussetzen von beiden Seiten her? Und wie geht das?

Gast: Vielleicht so von der Verfahrenssicht her erstmal erklärt, nichts geht ohne Vorbereitung.

Gast: Man lässt nicht einfach Leute aufeinander los, ohne dass man intensiv mit denen

Gast: vorher vorbereitet hat, wie dieser Prozess gut für sie gestaltet sein muss.

Gast: Damit sie sich darauf einlassen können und damit sie dann nicht Schaden nehmen.

Gast: Das heißt, Vorbereitung ist total wichtig, viele Vorbereitungsgespräche.

Gast: Da geht es natürlich um so Sachen wie, was erwartest du dir davon?

Gast: Was müsste passieren, dass es für dich gut ist? Aber auch, wie sieht der Raum

Gast: aus? Wo möchtest du sitzen? Wer kommt zuerst rein?

Gast: Brauchst du Unterstützungspersonen, die mit dir da sind?

Gast: Und was sind vielleicht Zeichen, die wir ausmachen, wenn es zu viel ist oder

Gast: Pausen oder aber auch sowas wie, hey, du kannst jederzeit abbrechen.

Gast: Und da kommen wir vielleicht zu den Prinzipien, ich habe es vorhin schon gesagt,

Gast: Freiwilligkeit ist eins.

Gast: Also du kannst jederzeit abbrechen, heißt auch irgendwie, du bist da freiwillig

Gast: und du musst da übrigens nicht hin.

Gast: Es hat überhaupt keinen Sinn jemanden zur Teilnahme an sowas zu zwingen weil wir arbeiten ja da,

Gast: Dass Leute dort etwas wollen und wenn die da nichts wollen, dann sitzen die da nicht gut.

Gast: Und das ist dann Freiwilligkeit, die ist in Abstufungen vorhanden.

Gast: Also Gruppendruck oder die Aussicht auf Bestrafungen kann natürlich auch eine

Gast: Motivation sein, sich da hinzusetzen, obwohl man sich vielleicht jetzt so ganz

Gast: 100% die reine intrinsische Motivation das nicht ist.

Gast: Wir sind halt soziale Wesen und das, was um uns herum ist, hat immer Einfluss auf uns.

Gast: Natürlich richte ich mein Verhalten auch daran aus, was andere von mir erwarten oder so.

Gast: Aber man kann niemanden dahin befehlen. Und ein anderer wichtiger Punkt ist

Gast: die Ergebnisoffenheit.

Gast: Also niemand bestimmt vorher, was dabei rauskommen muss, sondern es liegt an

Gast: den Leuten, ihre eigene, ganz individuelle, zu ihrer Situation und zu ihrem

Gast: Problem passende Lösung zu finden.

Gast: Und das dritte ist Konsens.

Gast: Alle haben dort die gleichen Rechte, die gleiche Stimme und eine Entscheidung

Gast: wird im Konsens gefällt.

Gast: Also man kann niemandem ein Ergebnis aufdrängen oder so, sondern die entscheiden

Gast: gemeinsam darüber, was irgendwie geht, also was gebraucht wird und was geht.

Gast: Also es kann ja sein, dass ich von dir 10.000 Euro will, aber du hast die nicht

Gast: und kannst mir die nicht geben.

Gast: Also dann nutzt mir das ja nichts. Wir müssen ja gemeinsam dann entscheiden,

Gast: was könnte zwischen uns beiden jetzt konkret sein.

Gast: Funktionieren.

Gast: Genau, Gleichberechtigung, es hat niemand mehr Stimmgewicht als jemand anderes

Gast: und es kann auch niemand mit in die Lösung eingebaut werden,

Gast: der nicht teilgenommen hat.

Gast: Wir können jetzt nicht uns unterhalten und sagen, hey, super und die Lösung

Gast: ist, dass Marie dies und jenes macht, Marie war gar nicht da.

Gast: Genau, Partizipation ist noch so ein wichtiger Punkt, also zu versuchen, möglichst,

Gast: alle Menschen, die davon irgendwie betroffen und beteiligt sind,

Gast: mit reinzuholen und ihnen die Möglichkeit zu geben, mit darüber zu bestimmen, was damit passiert.

Gast: Und Menschenwürde. Also als diejenigen, die das anleiten oder begleiten oder,

Gast: vermitteln oder so, also ob jetzt MediatorInnen oder PeacekeeperInnen oder was auch immer.

Gast: CircleKeeperInnen, ist es wichtig, dass wir darauf achten, dass die Menschenwürde

Gast: gewahrt wird und dass auch die Lösungen nicht dagegen verstoßen.

Gast: Und dann war es das eigentlich auch schon. Und was sozusagen,

Gast: das hast du gefragt, warum sollte ich denn da mitmachen?

Gast: Und was ich dann den Leuten immer sage, ist so, hey,

Gast: Es gibt dir die Möglichkeit, selbst darüber zu bestimmen, was mit dem passiert,

Gast: was da war, anstatt dass jemand anderes darüber bestimmt und deine Stimme kann gehört werden.

Gast: Ich habe ja vorhin schon von den klassischen Opferbedürfnissen gesprochen,

Gast: das alles kannst du da bekommen. Die Antworten auf deine Fragen.

Gast: Du kannst mal da dem sagen, was das für dich bedeutet hat.

Gast: Du kannst wieder Gutmachung erfahren. Du bekommst vielleicht eine Entschuldigung,

Gast: du bekommst eine Anerkennung für das, was dir passiert ist.

Gast: Und für die beschuldigte Person so,

Gast: hey, du kannst selbst mit darüber bestimmen, was jetzt daraus wird und du kannst der Person sagen,

Gast: wie es dazu kam und damit auch ihr und den anderen möglicherweise Mitteilnehmenden zeigen.

Gast: Dass das nicht das Einzige ist, was du bist.

Gast: Weil die natürlich irgendwie jetzt gerade das vor allem von dir im Kopf haben.

Gast: Und das ist schon so eine wichtige Motivation von Leuten, irgendwie zu zeigen,

Gast: dass sie kein schlechter Mensch sind, sondern dass es einen Grund gab,

Gast: wie sie zu ihrem Handeln gekommen sind.

Gast: Also nicht im Sinne von Rechtfertigung, sondern im Sinne von,

Gast: es gab einen Weg, der da hingeführt hat.

Gast: Und ich möchte dir den gerne erklären, weil es tut mir leid.

Gast: Also so dieses auch und du kannst dich entschuldigen.

Gast: Tatsächlich möchten das ganz viele Leute.

Gast: Nur die möchten das, wenn man ihnen den Raum dafür gibt.

Gast: Die möchten das nicht so unbedingt oder es ist nicht das, was sich als erstes zeigt,

Gast: wenn du einen Raum machst, wo die halt angegriffen und beschuldigt werden und

Gast: als schuldige und schlechte Menschen quasi behandelt werden.

Gast: Dann machen die was, was wir alle machen, wenn jemand uns so begegnet.

Gast: Dann gehen die natürlich in die Verteidigung und in den Widerstand und sagen,

Gast: hey nein, ich verteidige mich, ich bin kein schlechter Mensch und ich versuche

Gast: jetzt das Maximum für mich rauszuholen.

Gast: Da sind die überhaupt nicht in einer Position, wo sie überhaupt Empathie mit

Gast: der anderen Person haben können oder sich irgendwie darauf einlassen können,

Gast: weil sie so stigmatisiert werden.

Gast: Und das heißt, wenn ich die Wahrscheinlichkeit erhöhen möchte,

Gast: dass jemand daran teilnimmt, dann ist es auch wichtig, dass ich mir die Frage

Gast: stelle, wie gehe ich mit der Person um, wie spreche ich mit der,

Gast: wie kann ich nichts stigmatisierend ihr sagen, dass das nicht okay war.

Gast: Und da ist sozusagen das, was John Braithwaite, so ein australischer Restorative

Gast: Justice-Praktiker und Theoretiker, entwickelt hat.

Gast: Der nennt das Reintegrative Shaming, das ist ein bisschen umstritten,

Gast: aber ich finde es so vom Bild her ganz schön eigentlich, diese Idee,

Gast: hey, es geht darum zu sagen, du als Mensch bist okay und du bist uns wichtig

Gast: und wir respektieren dich.

Gast: Es geht darum, dass das, was du getan hast, da nicht okay war.

Gast: Und darüber möchten wir gerne sprechen, weil das muss irgendwie behandelt werden.

Gast: Aber das stellt nicht in Frage, dass wir dich als Mensch mögen.

Gast: Und ich nenne das so Schimpfen, also Händchen halten und schimpfen dabei.

Gast: Also irgendwie so dieses, es geht mir schon auch darum zu sagen,

Gast: hey, wir halten an dir fest. Du bist nicht verzichtbar.

Gast: Wir schmeißen dich nicht einfach raus. Wir gehen nicht einfach drüber hinweg.

Gast: Aber wir tun auch nicht einfach so, als wäre da nichts gewesen.

Gast: Sondern das war nicht in Ordnung.

Gast: Und das als Basis für, um sich selbst die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen,

Gast: dass jemand darauf eingehen wird.

Gast: Und dann aber sozusagen, das ist doch trotzdem schwierig und so.

Gast: Ja genau, übrigens ist der Faktor Zeit total ausschlaggebend.

Gast: Die Leute brauchen Zeit, das zu verarbeiten. Und auch Beschuldigte brauchen

Gast: Zeit, die Beschuldigung zu verarbeiten.

Gast: Und deswegen heißt es nicht, dass wenn du drei Tage nach dem,

Gast: was passiert ist, fragst, hey, wollen wir nicht irgendwie ein Restorative Circle machen?

Gast: Und die Leute sagen, boah, nee, dass das für immer Nein ist,

Gast: sondern dass es Nein in diesem Moment ist.

Gast: Und da muss man vielleicht in drei Monaten nochmal gucken oder in einem halben Jahr oder noch.

Gast: Und das ist auch so ein Brave-Wade-Ding. hey, die Möglichkeit immer offen halten,

Gast: nicht diese Tür einfach zumachen, sondern die Möglichkeit immer offen halten,

Gast: weil Leute brauchen Zeit und wie viel Zeit die brauchen, das können wir vorher

Gast: nicht wissen und das hängt total davon ab,

Gast: um was es geht, was der Kontext ist.

Gast: Was die vorher erlebt haben und wie die reagieren.

Daniel: Mit der Perspektive am Horizont, das fand ich vorher so einen schönen Satz,

Daniel: den du gesagt hast, dass es für beide Seiten besser wird oder besser ist.

Gast: Für alle.

Daniel: Für alle, für beide.

Gast: Nicht nur beide, sondern alle im Sinne von, die daran sozusagen,

Gast: wenn du dich mit Paul streitest und ihr euch,

Gast: ihr durch das durchgeht, dann ist es ja vielleicht nicht nur für euch beide

Gast: besser, sondern auch für alle, die um euch rum sind, weil Menschen in der Regel

Gast: ja darunter leiden, wenn zwei ihnen nahe Stehende sich nicht verstehen oder Probleme haben.

Paul: Genau das Gegenteil von, wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte.

Gast: Nee, wenn zwei sich streiten, leidet der Dritte und der Vierte und der Fünfte auch.

Paul: Ja, ich habe immer noch dieses Bild mit den zwei Waagschalen im Kopf,

Paul: die beide angehoben werden müssen. Was natürlich nicht funktioniert, wenn es eine Waage ist.

Gast: Genau.

Paul: Wir haben ja eine Besonderheit hier bei uns im Podcast. Wir haben ja eine Zeitmaschine.

Paul: Ich weiß nicht, ob du das wusstest.

Gast: Geil.

Paul: Und wir können in die Zukunft reisen damit und zwar bis zu dem Punkt,

Paul: wo das Eintritt und wo das Best-Case-Szenario geklappt hat für dich und für

Paul: Restorative Justice und Restorative Practices.

Paul: Und wir können quasi vorspulen bis dahin.

Paul: Resi, möchtest du den roten Knopf drücken von unserer Zeitmaschine?

Gast: Okay.

Daniel: Risi, wir sind jetzt in der Zukunft.

Paul: Wenn du jetzt aus dem Fenster guckst, in der Zukunft, in der wir sind,

Paul: welche Auswirkungen hat es gesamtgesellschaftlich gegeben?

Paul: Wie sieht es hier aus?

Gast: Auf allen Ebenen hat das Auswirkungen. Wir haben mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Gast: Die Leute haben von klein auf gelernt, miteinander über ihre Gefühle und Bedürfnisse zu sprechen.

Gast: Sie sind deswegen in ihrem Handeln gleichzeitig autonomer und gleichzeitig verbunden.

Gast: Mit anderen. Das macht mehr Frieden gesellschaftlich. Es macht auch,

Gast: dass Menschen weniger hinnehmen, wenn Dinge passieren, die nicht okay sind.

Gast: Also das heißt, sie nehmen viel mehr Einfluss auf politische Entscheidungen

Gast: und auf gesellschaftliche Entscheidungen.

Gast: Das bedeutet, unsere Gesellschaft ist viel basisdemokratischer geworden.

Gast: Die Organisation unserer Gesellschaft ist viel lokaler.

Gast: Es gibt viel mehr Beteiligung die eine Beteiligung ist, wo Menschen wirklich gehört werden.

Gast: Es ist viel dialogischer. Es wird viel mehr darüber gesprochen,

Gast: bevor man irgendwas einfach macht.

Gast: Es ist ein bisschen wie an diesen Restorative Schools. Man spricht ganz viel

Gast: darüber, was gebraucht wird und wie es einem geht und wie man gut miteinander zurechtkommen kann,

Gast: um gemeinsam vorwärts zu kommen. Und das schafft einfach ganz viel mehr Frieden.

Gast: Es gibt keine Strafjustiz, es gibt keine Gefängnisse, es gibt ganz viel Prävention,

Gast: ganz viel Gesellschaftliches und Soziales,

Gast: was darauf aus ist, Menschen ein gutes Leben zu ermöglichen.

Gast: Und für den Fall von Konflikten gibt es überall Stellen,

Gast: an die man sich wenden kann und Menschen, die trotz all dem in schwierigen Lagen

Gast: sind oder eine Gefahr für andere oder für sich selbst darstellen können, an Orte gehen,

Gast: wo sie erstmal niemand anderen wehtun können und wo sie aber genauso gut leben

Gast: können wie andere draußen auch.

Gast: Nur, dass sie halt sich nicht frei geografisch bewegen können.

Gast: Und das dient vor allem dem Schutz und nicht der Bestrafung oder der Leidzufügung.

Gast: Genau, und irgendwie ist es ein sehr friedlicher, lokaler, globaler Zustand,

Gast: wo es trotzdem auch Konflikte gibt und wo es,

Gast: kein perfektes keine perfekte Welt, wo aber alle wissen,

Gast: was man machen kann, wenn mal was schiefläuft und das dann sehr schnell wieder

Gast: eingefangen werden kann.

Gast: Das hat übrigens auch Auswirkungen auf Architektur, auf Städtebau,

Gast: auf Transport, auf alles.

Gast: Also in dem Moment, wo wir, es ist ja gar nicht unbedingt ein Restorative irgendwas,

Gast: sondern das ist ja wirklich ganz basic eigentlich GFK.

Gast: Im Moment, wo wir nach Gefühlen und Bedürfnissen gucken und die Leute über ihr

Gast: Schicksal selbst entscheiden dürfen gemeinsam und in Verbindung gehen,

Gast: also anstatt zu versuchen Recht zu haben oder so, entstehen ja ganz andere Strukturen überall.

Gast: Und dann, das kann man sich gar nicht ausmalen, was das alles für Auswirkungen hat.

Paul: Ich weiß nicht, ob du das noch ausschmücken möchtest, diese Zukunft,

Paul: weil die sich ja auch schön anfühlt.

Gast: Also genau, für mich macht es eher so ein, macht es wirklich so ein ganz angenehmes

Gast: Gefühl von, hey, wie schön das wäre, in einer Welt zu leben, wo ich gefragt werde.

Gast: Und wo ich, wenn ich wohl nicht einverstanden bin, wo mein Widerstand ernst

Gast: genommen wird und zu der Frage führt von,

Gast: okay, was brauchst du, um zustimmen zu können oder wie können wir es anders

Gast: machen, sodass es auch für dich okay ist.

Gast: Also es geht ja immer darum, gemeinsam Prozesse und Lösungen zu ermöglichen

Gast: und da gibt es keine, also the sky is the limit, es gibt keine Begrenzung davon,

Gast: was dann die Lösung sein kann.

Gast: Weißt du, so, das ist so einfach dieses irgendwie, und ich finde das immer wieder

Gast: in allen restorative Prozessen, die ich gemacht habe, bis jetzt irgendwie so dieses,

Gast: wenn man mich fragen würde, hey, was ist denn so wirklich das Urbedürfnis,

Gast: das immer vorkommt? Gehört werden.

Gast: Gehört werden und ernst genommen werden mit dem, was man zu sagen hat oder wie

Gast: es einem geht oder was die eigene Realität ist.

Gast: Immer so ganz tief. Und wenn man sich jetzt mal so ganz konkret vorstellt,

Gast: wie sich das anhört, fühlt, wenn man gehört und ernst genommen wird mit dem,

Gast: was in einem ist, worum es einem geht, wie es einem geht, was man will, was man braucht.

Gast: Ey, wie fucking gut fühlt sich das an? Und wie weh tut es eigentlich die ganze

Gast: Zeit, dass es nicht so ist?

Gast: Und das muss man sich die ganze Zeit wegmachen, diesen Schmerz.

Gast: Das ist ja richtig ätzend.

Daniel: Gibt es in dieser Welt, in dieser Utopie, die du gerade beschrieben hast,

Daniel: gibt es da überhaupt noch so etwas wie ein Justizsystem?

Daniel: Oder ist das eingebettet in sozusagen dieses andere, neue Zusammenleben,

Daniel: so wie du das gerade beschrieben hast?

Gast: Könnte sein, dass es Leute gibt, die dafür zuständig sind, die man anruft,

Gast: wenn man selber nicht weiterkommt.

Gast: Also sowas wie wenn ich denke dann so, okay, wie könnte das sein wie leben,

Gast: weißt du, das ist ja nicht so wie eine wolkenblumige, sonst was komische Welt,

Gast: die es noch nie gegeben hat, sondern ganz viele, es gab schon ganz viele Gesellschaften auf dieser Erde,

Gast: die anders an Sachen rangegangen sind und dann kann man einfach nur gucken,

Gast: hey, wie haben die es denn gemacht und da gibt es halt gesellschaftliche Rollen,

Gast: da gibt es halt schon auch Leute, die bestimmte Sachen ganz besonders gut können

Gast: und an die man sich dann wendet.

Gast: Und das könnte halt irgendwie, das ist dann, vielleicht gibt es so ein Community

Gast: Mediation Center oder vielleicht gibt es irgendwie so jemanden,

Gast: der besonders gut Konflikt lösen kann oder der irgendwie,

Gast: für zuständig ist und dann meldet man sich da und sagt, hey,

Gast: ich habe hier einen Konflikt, ich weiß nicht weiter.

Gast: Und,

Gast: Dann, genau, es ist vielleicht weniger so ein Justizsystem mit so komischen Backsteingebäuden.

Daniel: Das wäre schon mal gut.

Gast: Oder noch schlimmer so Betonklötzen, sondern es ist irgendwie eher so eine lokale, zuständige Stelle.

Paul: Wenn ich mich nochmal so in dieser Welt, die du gerade nach unserem Zeitsprung

Paul: skizziert hast, so umschaue, dann habe ich da noch die Frage,

Paul: wie ist es quasi in dieser zukünftigen Welt gelöst worden mit der Macht?

Paul: Weil das, was ich das Gefühl habe, was es verhindert oder zum großen Teil verhindert,

Paul: dass es so in der Vergangenheit war, in 2025, war eben, dass Leute auf ihrer

Paul: Macht bestanden haben und die auch akkumuliert haben.

Paul: Und ich frage mich jetzt aber bei dem Zuhören auch, für welches Bedürfnis das

Paul: eigentlich steht Und ob dieses Prinzip von die Bedürfnisse zu erfüllen vielleicht

Paul: auch einen Zugang dazu darstellt,

Paul: irgendwie auf Macht zu verzichten und das Bedürfnis anders zu befriedigen oder

Paul: anders befriedigt zu bekommen.

Gast: Also wenn ich Rosenberg richtig verstanden habe, dann sagt er dazu zwei Sachen,

Gast: nämlich Macht ist eine Strategie für die Erfüllung von verschiedenen Bedürfnissen

Gast: darunter, Einfluss nehmen können, also irgendwie Einfluss haben,

Gast: Anerkennung, ja vielleicht geliebt werden oder irgendeinen Ersatz davon.

Gast: Und andersrum sagt er, Menschen, die sich ihrer Gefühle und Bedürfnisse bewusst

Gast: sind, werden schlechte Untertanen.

Gast: Und ich glaube, ich würde vielleicht hinzufügen, Menschen, die sich ihrer Gefühle

Gast: und Bedürfnisse bewusst sind, werden vielleicht auch schlechte Herrscher.

Gast: Also man könnte sozusagen sagen, wenn es möglich wäre, ähm,

Gast: Situationen von heute auf zero zu setzen und neu zu starten,

Gast: dann könnte man versuchen, auf diesem Weg zu verhindern, dass sich solche Machtstrukturen

Gast: etablieren, weil man weiß, was da dahinter steckt.

Gast: Und dass so jemand, der sich aufhört, wie diese zurzeit rumwütenden weißen Männer

Gast: einfach zutiefst verletzt sind und irgendwelche ganz,

Gast: also so tief in sich so viel Schmerz tragen, dass sie das die ganze Zeit so

Gast: nach außen tragen müssen, in der Hoffnung, dass ihnen dabei,

Gast: eigentlich wollen die ja die ganze Zeit geliebt werden, möchte man meinen.

Gast: Und niemals kann es so viel Liebe geben, dass es reicht, weil dieses Loch so groß ist.

Gast: Und das hat dann was mit Entwicklungspsychologie und Kindheit zu tun,

Gast: das ist ein anderes Thema.

Gast: Und könnte man verhindern, dass so ein großes Liebesloch bei Leuten entsteht,

Gast: könnte man vielleicht verhindern, dass es solche Büterische gibt.

Gast: Aber gut, das ist, würden jetzt vielleicht dann nicht HistorikerInnen,

Gast: sondern PsychologInnen uns aufs Dach springen und sagen, das war sehr übervereinfacht.

Gast: Aber ich möchte ja nur so ein bisschen so einen Denkraum aufmachen von, hey, da könnte was sein.

Gast: Da könnte ein Hund begraben liegen, den man ausbuddeln kann.

Paul: Sollen wir mal mit diesen Gedanken in die jetzt Vergangenheit.

Daniel: 2025 zurück in die Gegenwart.

Paul: Da sind wir wieder.

Gast: Oh nee, ätzend.

Paul: 2025.

Gast: Ich will hier nicht sein. Das Wetter ist immer noch schlecht.

Gast: Das ist grau und die Nachrichten sind zum Kotzen. Ich will das alles nicht.

Paul: Damit es anders wird, lass uns nochmal darüber sprechen, was sind Sachen,

Paul: die du vielleicht jetzt schon tust,

Paul: als Aktivistin, als Autorin, als Mediatorin, dass es besser wird,

Paul: dass es so wird, wie wir es gerade kurz erlebt haben, wie wir es gerade kurz gesehen haben.

Gast: Ja, so die kleinen Dinge. Ich mache mir immer wieder diesen Rosenberg-Spruch,

Gast: Gewalt ist ein tragischer Ausdruck unerfüllter Bedürfnisse, bewusst.

Gast: Und versuche mir klarzumachen, dass wenn ich sowas sehe, was da dahinter steckt irgendwie.

Gast: Und dann, das ist quasi dieses Walk a mile in my shoes.

Gast: Also diese Idee von sich mal in die Person reinzusetzen und zu überlegen,

Gast: wenn es mir so ginge, wie wäre ich denn dann drauf?

Gast: Was hätte ich getan? Und dabei klar zu haben, dass das verschachtelt und verschlungen

Gast: ist und nicht so einfach auf Konflikte zugehen und sie nicht vermeiden oder

Gast: nicht versuchen, das Sobjekt zu ignorieren, weil das nicht funktioniert,

Gast: sondern meistens nur dazu führt, dass es schlimmer wird und versuchen,

Gast: Konflikte so zu führen, dass ich daran denke,

Gast: es geht darum, gehört zu werden, dass ich höre und dass die andere Person mich hört.

Gast: Und dann entsteht Verständigung und dadurch entsteht Verbindung und auf der

Gast: Basis kann was anderes passieren.

Paul: Was ich da gerade gehört habe und auch in dem ganzen Gespräch immer schon gehört

Paul: habe, sind ja immer wiederkehrende Prinzipien, zuhören, Verbindungen,

Paul: Austausch, Konflikte annehmen, Konflikte angehen und auf die Bedürfnisse schauen.

Paul: Was wären denn jetzt ganz konkrete Schritte, ganz konkrete Dinge,

Paul: die wir mitnehmen können, also die jetzt Daniel und ich mitnehmen können und

Paul: die vielleicht auch unsere Zuhörerinnen mitnehmen können?

Paul: Was kann man denn jetzt, wenn man rausgeht vor die Tür, direkt mal machen oder

Paul: direkt mal üben, direkt mal ausprobieren, was irgendwie in diese Richtung geht?

Gast: Du hast ja lauter so Alltagssituationen. Und ich meine, wenn du jetzt vor die Tür gehst,

Gast: dann bist du wahrscheinlich gleich von irgendeinem Auto geschnitten oder stehst

Gast: im Stau oder die Bahn kommt nicht.

Gast: Und also jedes Mal zu versuchen, wenn sowas passiert, was einen aufregt und

Gast: wo man anfängt, verurteilend über andere Menschen zu denken und wo einem sowas

Gast: kommt wie so, äh, was für ein Arsch.

Gast: So dieses andere Denken einzusetzen und zu sagen, ah okay Moment mal,

Gast: was ärgert mich hier gerade?

Gast: Wie fühle ich mich überhaupt? Ich bin verärgert, ich bin wütend,

Gast: ich bin sauer, ich bin frustriert.

Gast: Was weiß ich, was noch? Vielleicht nicht auch müde, erschöpft,

Gast: überfordert und das alles macht jetzt irgendwie, was brauche ich eigentlich?

Gast: Ach so, ich hätte jetzt gerne dass ich irgendwie entspannt nach Hause fahren

Gast: kann, dass ich bald ankomme, weil ich möchte mich ausruhen und so.

Gast: Und dem steht jetzt hier irgendwas im Weg. Oder ich möchte mich gerne angstfrei

Gast: bewegen können und nicht denken, mir überfährt gleich hier jemand oder so.

Gast: Okay, das sind meine berechtigten Bedürfnisse. So fühle ich mich gerade,

Gast: das sind meine berechtigten Bedürfnisse. Was ist denn vielleicht bei der anderen Person los?

Gast: Und ist mir denn vielleicht auch schon mal was ähnliches passiert,

Gast: also sagen wir mal irgendwie, keine Ahnung, du bist fast von einem rechtsabbiegenden

Gast: Auto überfahren und beschimpfst den da drin sitzenden Autofahrer oder die Autofahrerin und,

Gast: hast völlig zu Recht, hast du deine Bedürfnisse und so und die andere Person

Gast: hat ihre ja irgendwie auch und was wir ja häufig machen, wenn wir verurteilend

Gast: denken, ist zu denken, dass die andere Person das irgendwie absichtlich gemacht hat oder,

Gast: sich nicht genug Mühe gibt und das besser hätte machen können und wir haben auch alle schon mal,

Gast: wahrscheinlich, waren auch wahrscheinlich alle schon mal nicht hundertprozentig

Gast: aufmerksam, als wir irgendwo rechts abgebogen sind und wenn uns es jemand vorwurft,

Gast: haben wir einen guten Grund gehabt.

Gast: Und diesen guten Grund haben alle Menschen. Das heißt,

Gast: hey, vielleicht ist die Person genauso gestresst, gerade von der Arbeit gekommen,

Gast: total abgelenkt, weil sie sich gerade noch erinnert an dieses schreckliche Mitarbeitergespräch,

Gast: das sie gerade hatte und ist total aufgewühlt und hat deswegen dich nicht gesehen,

Gast: weil sie irgendwie nicht aufmerksam genug ist. Kann man sagen,

Gast: ja, in so einem Zustand sollte man nicht Auto fahren.

Gast: Genau, aber was sind denn die Alternativen oder wie soll das denn funktionieren?

Gast: Sie muss vielleicht schnell nach Hause, weil da jemand wartet,

Gast: der versorgt werden muss.

Gast: Tausend andere Dinge hey jeder Mensch hat einen guten Grund für sein Verhalten,

Gast: selbst wenn es uns nicht zugänglich ist erstmal und das ist so eine das kann

Gast: man jederzeit machen und sich einfach mal trainieren das zu machen.

Gast: Um irgendwie dieses verurteilende und trennende und so konfrontative so aufzugeben.

Gast: Und dann das nächste ist, wenn ich einen ganz konkreten Konflikt habe,

Gast: und das passiert uns ja ständig, ist ja nicht so, dass Konflikte selten sind, nur weil

Gast: die wenigsten von uns ständig mit dem Strafjustizsystem zu tun haben,

Gast: heißt es ja nicht, dass wir nicht schmerzhafte Konflikte hätten.

Gast: Das nächste Mal, wenn der so ist, vielleicht einfach sagen, okay,

Gast: ich nehme mir jetzt ich nehme jetzt mir diesen Mut und gehe das jetzt an und

Gast: ich rufe da jetzt an und sage, hey, können wir uns mal treffen?

Gast: Ich möchte gerne hören, was bei dir los war und ich möchte, würde dir,

Gast: ich bitten, dann mich anzuhören, was bei mir los ist und irgendwie diesen Raum aufzumachen,

Gast: und wenn man, wenn es irgendwie was ist, was immer größer und immer belastender

Gast: wird, irgendwie auch einfach frühzeitig Hilfe in Anspruch nehmen.

Gast: Ich sage das immer meinen KlientInnen so, die mich häufig aber auftragen,

Gast: wenn die Hütte schon echt lichterloh in Flammen steht.

Gast: So, ey, wann hättet ihr die Feuerwehr gerufen? Doch nicht jetzt.

Gast: Wenn du einen Brand in deiner Küche hast und du kippst dann einmal Wasser drauf

Gast: und es brennt immer noch und nimmst den Feuerlöscher und es brennt immer noch,

Gast: dann rufst du doch die Feuerwehr.

Gast: Und wenn du einen Konflikt hast oder irgendein wirklich super belastendes Ding

Gast: mit jemand anderem und du schaffst es nicht allein und hast schon drei Eimer

Gast: Wasser und fünf Feuerlöscher, ruf doch bitte die Feuerwehr.

Gast: Dann würde ich mich auch weniger als Feuerwehr fühlen, sondern als jemand,

Gast: die tatsächlich noch was machen kann.

Gast: Weil wenn die Hütte Lichterloh brennt, kann ich mich nur noch mit dir zusammen

Gast: dahin stellen und Trauerarbeit leisten über das, was du gerade alles verloren hast.

Gast: Weil dann lässt sich das nicht mehr. Also dann kann man da nicht mehr viel machen halt.

Daniel: Ja, wir lachen jetzt alle so. Ja, so müsste man wirklich tun.

Daniel: Ja, müsste man tatsächlich wirklich tun.

Gast: Und es wird auch einfach, es wird umso teurer, je länger du wartest.

Gast: So ist es ja beim Hausbrand auch.

Paul: Bei allem, ne?

Gast: Ja. Also du hattest das vorher erwähnt, Paul, mit der Zeit und dieser Meeting-Culture,

Gast: wo so viel Zeit verbrannt wird und diesem, hey, wie lange dauert denn so ein

Gast: Restorative Circle und wenn ich mich jetzt immer mit meinen Leuten treffen muss und so weiter.

Gast: Das ist wie auch mit dem großen Krieg und Frieden.

Gast: Frieden hat man nicht, den muss man machen. Den muss man bewusst herstellen.

Gast: Da muss man immer wieder darum kämpfen.

Gast: Den muss man immer wieder produzieren.

Gast: Und das kostet Zeit und Energie.

Gast: Ja, es kostet viel weniger Zeit und Energie, als Krieg zu machen und danach aufräumen zu müssen.

Gast: Und das gilt auch im Kleinen sozusagen, wenn der Konflikt erstmal so groß geworden

Gast: ist, dass der alle deine Freundinnen mit einbezieht und dass es deinen Arbeitsplatz

Gast: unmöglich macht oder sonst irgendwas, du psychisch krank davon wirst, das ist,

Gast: das kostet viel mehr Zeit und viel mehr Energie und Ressourcen,

Gast: als wenn man sich vor einem halben Jahr irgendwie die, keine Ahnung,

Gast: 300 Euro in eine Mediation gesteckt hätte.

Gast: Und das ist natürlich dann, denkt man so, aber das kostet jetzt Geld.

Gast: Ey, du wirst, krass, dir keine Ahnung, was dich das kosten wird,

Gast: wenn du nicht drangehst.

Gast: Und das weiß man natürlich nicht, weil manchmal lösen sich Sachen ja auch.

Gast: Aber häufig halt auch nicht. Und irgendwann kommt so ein Kipppunkt,

Gast: wo man vielleicht spätestens so checken sollte, hey, jetzt investiere ich das.

Gast: Und dann halt auch wieder dieses konstruktive Lösenssuchen.

Gast: Und wenn ich merke, hey, jetzt müsste das, aber ich habe beim besten Willen

Gast: dieses Geld nicht, das ich jetzt brauche, um eine Fachperson dann anzugehen.

Gast: Findet man eine Lösung? Also dann findest du vielleicht jemanden,

Gast: der es dir gibt oder vorstreckt oder leidt oder du findest Leute,

Gast: die sagen, ich arbeite zu einem reduzierten Satz.

Gast: Also wo ein Wille ist ein Weg.

Daniel: Und da ist ja auch schon die Feuerwehr, da brennt es ja dann auch schon.

Daniel: Also es ist ja wirklich ein Schritt vorher sozusagen anzusetzen.

Daniel: Das kann ja jeder wirklich im Kleinen bei sich tun.

Daniel: Das sind Dinge, die man morgen direkt umsetzen kann, heute Abend schon direkt

Daniel: umsetzen kann, wenn man mit den Kids am Tisch sitzt und sie nicht anschreit,

Daniel: halt die Klappe jetzt, ich habe keinen Bock,

Daniel: sondern dass man genau sozusagen aus dieser Perspektive beginnt,

Daniel: über Konflikte, die wir tagtäglich,

Daniel: stündlich sozusagen haben, einfach nachzudenken.

Daniel: Im Kleinen. Aber wie sieht es denn im Großen aus? Also nicht,

Daniel: dass wir jetzt den Rahmen nochmal sozusagen komplett sprengen,

Daniel: aber das würde mich jetzt schon nochmal interessieren, weil du gerade,

Daniel: als wir in der Zukunft waren, hast du gesagt, ja, das ist jetzt,

Daniel: wie genau soll das gelingen, wo ich hier jetzt bin?

Gast: Verstehe deine Frage nicht.

Daniel: Also wie schafft man es, dass sozusagen diese Utopie, die du vorher sozusagen

Daniel: skizziert hast, dass man die ins Gelingen bringt?

Daniel: Nicht nur in den kleinen Dingen da müssen wir alle bei uns anfangen ganz klar,

Daniel: aber wo muss man sozusagen an den großen hebeln weil du da ja auch schon,

Daniel: du hast vorgesagt du bist seit 20 Jahren, bist du sozusagen dabei für dieses

Daniel: Thema ich weiß nicht, ob Lobbyieren der richtige Begriff ist,

Daniel: aber sozusagen dafür zu werben,

Daniel: bestimmt auch dafür zu kämpfen, dass in deinem Umfeld,

Daniel: sozusagen in einer Art und Weise irgendwie ins Gelingen und auch in die Anwendung

Daniel: zu bringen, aber wie schafft man es bei,

Daniel: Institutionen, bei Menschen, die Entscheidungen heute treffen,

Daniel: wie schafft man es bei denen sozusagen für so ein Umdenken auch,

Daniel: dass bei denen einfach so ein Schalter im Kopf wirklich Klick macht?

Daniel: Weil du sagtest, du bist nicht optimistisch.

Gast: Also ich kann, ich glaube, ich könnte darüber reden,

Gast: wie du das immer noch in einem relativ lokalen Umfeld machen kannst,

Gast: aber ich Also passt jetzt vielleicht nicht in die Stoßrichtung eures Podcasts,

Gast: aber irgendwie ehrlich gesagt,

Gast: wenn Demonstrationen mit Hunderttausenden von Leuten, ob jetzt in der Klimabewegung

Gast: oder in der Bewegung gegen den Faschismus, es nicht schaffen,

Gast: an den entscheidenden Machthebeln Leute zum Umdenken zu bewegen,

Gast: dann weiß ich nicht, was es schaffen kann.

Gast: Und Lobbyismus irgendwie aus einer Perspektive von ich habe aber keine Kohle,

Gast: mit der ich die Person bestechen kann, sehe ich keinen Sinn drin. Also wenn du.

Gast: Genau, kämpfen wir nicht mit den gleichen Mitteln. Ich kann da niemandem einen

Gast: Vorstandsposten anbieten oder so.

Gast: Aber was ich machen kann, ist irgendwie versuchen, an allen möglichen Orten,

Gast: zum Beispiel in Schulen, in Firmen, in Vereinen,

Gast: in vielleicht Stadtbezirksräten oder solchen Dingen, wo ich tatsächlich mit

Gast: meiner Stimme direkt Leute erreichen kann und überzeugen kann,

Gast: dafür zu sorgen, dass Dinge, anders gehandhabt werden und dann kann man im besten

Gast: Fall sich einen Trickle-Up-Effekt irgendwie erhoffen,

Gast: aber so direkt in meinem Umfeld kann ich irgendwie dafür werben, kann es versuchen,

Gast: kann es Leuten auch erfahrbar machen, also die beste Propaganda ist die eigene Erfahrung,

Gast: wenn die Leute es selber am eigenen Leib verspüren, was das bedeutet,

Gast: das mal zu erleben und irgendwie da durchzugehen und zu sagen, hey und ich habe,

Gast: ich habe irgendwie meinen Konflikt mit Restored Justice gelöst und jetzt geht

Gast: es mir besser und das kann ich meinen Freunden erzählen das ist irgendwie das ist die Beste.

Gast: Das Überzeugendste und weiß nicht, also wir sind hier in Köln,

Gast: es gibt hier eine riesige JVA die soll abgerissen und neu gebaut werden man

Gast: könnte auch einfach sich dafür einsetzen dass sie abgerissen und nicht neu gebaut

Gast: wird und sagen so, hey, wie wäre es denn, wenn wir einfach versuchen,

Gast: weniger Gefängnisse zu haben?

Gast: Weil wir brauchen die gar nicht, brauchen nicht so viele.

Gast: Das kann man belegen.

Gast: Die meisten Leute sitzen da eh nur wegen Armutsdelikten.

Daniel: Also wir können oder müssen, glaube ich, alle bei uns selber irgendwie anfangen, im Kleinen.

Daniel: Also das, was du gerade gesagt hast, das sind, glaube ich, sozusagen die Punkte.

Daniel: Ich werde einiges mitnehmen aus diesem Gespräch heute, für mich definitiv.

Paul: Ja, ich finde auch ganz toll nochmal den Hinweis auf die Übung an sich selber,

Paul: die ganz wichtig ist und die wir tagtäglich in fast allen Situationen eigentlich machen können.

Gast: Genau, aber nicht nur du selber. Ich will jetzt nicht sozusagen dem bereits

Gast: völlig überlasteten Individuum im Neoliberalismus auch das noch aufhalsen.

Gast: Es geht natürlich schon darum, du und dein Umfeld, du und deine Leute,

Gast: du und dein Kontext irgendwie.

Paul: Aber ich wollte nur darauf hinaus

Paul: auch, dass diese Übung an sich selber wahnsinnig entlastend ja auch ist.

Paul: Also wenn ich das schaffe, dem, der mich rechts schneidet,

Paul: nicht mit Beschimpfung und Anschreien zu begegnen, sondern eben mit diesem Verständnis,

Paul: sage ich jetzt mal im weitesten Sinne dieser Vorstellung, der hat auch seine guten Gründe.

Paul: Dann tut mir das ja gut. Nicht nur dem, weil der nicht angeschrien wird,

Paul: sondern das tut mir auch was Gutes direkt in dem Moment.

Gast: Genau und ich möchte immer nochmal

Gast: darauf hinweisen, dass ja auch die Empathie bei dir selber anfängt.

Gast: Also es geht ja nicht nur darum, ein Verständnis für alles und jeden zu haben,

Gast: sondern als allererstes Verständnis für mich selber zu haben,

Gast: dass ich irgendwie ein Recht darauf habe, dass ich jetzt gerade wütend bin.

Gast: Weil ich irgendwie Angst um mein Leben hatte oder was weiß ich.

Gast: Oder weil ich gerade so dringend nach Hause muss und es geht nicht vorwärts.

Gast: Und es ist, ich, das allererstes ist so, hey, ja, und ich bin gestresst und

Gast: es stresst mich gerade und es ist blöd und mir geht es nicht gut.

Gast: Und ich wünsche es mir gerade so anders und ich brauche auch gerade was anderes

Gast: und das kriege ich gerade nicht und das tut weh. Und das ist das Erste.

Gast: Und dann so, und dann kommen die anderen irgendwie im Sinne von,

Gast: hey, und dem tut auch gerade was

Gast: weh. Und ein total wichtiger Punkt ist Großzügigkeit und Geduld und Demut.

Gast: Also Großzügigkeit im Sinne von, wenn dir das jetzt nicht jede einzelne Sekunde

Gast: deines Lebens gelingt, diese Haltung, ist das auch okay.

Gast: Hey, du musst nicht perfekt sein und das dauert, sowas umzulernen,

Gast: weil so alt wie du bist, so lange hast du es anders gelernt und das kann jetzt

Gast: locker nochmal so viele Jahre dauern, das wieder umzulernen,

Gast: also hey, das ist so ein langer Atemding, hab Geduld, sei großzügig und irgendwie

Gast: sei demütig gegenüber dem,

Gast: wie groß das ist irgendwie und dann ist die Wahrscheinlichkeit größer,

Gast: dass du nicht daran verzweifelst und frustriert aufhörst, weil das eh nicht funktioniert.

Paul: In diesem Sinne, vielleicht ist es ja doch noch Hoffnung.

Gast: Ach, das ist ein anderes Thema mit der Hoffnung.

Daniel: Das machen wir dann in der letzten Folge unseres Podcasts.

Paul: Liebe Resi, das war wahnsinnig viel und wahnsinnig inspirierend.

Paul: Ich fühle mich wirklich angefüllt mit neuen Gedanken und neuen Perspektiven

Paul: und ich hoffe, dass den Menschen, die das hier hören, mit uns es vielleicht

Paul: eben so ging. Vielen herzlichen Dank, dass du da warst.

Gast: Es war eine große Freude. Vielen Dank fürs Zuhören.

Daniel: Resi, vielen, vielen Dank.

Paul: Best Case Szenario ist ein Podcast von Tomorrowness und wird produziert von

Paul: uns, Daniel Scheuch und Paul Bachmann bei TBA The Beauty Aside.

Paul: Redaktionelle Mitarbeit Leonie Müller, Sounddesign und Titelmusik kommen von Robert Kalber.

Paul: Best-Case-Szenario erscheint einmal im Monat auf den gängigen Plattformen.

Paul: Wir bedanken uns fürs Zuhören und freuen uns darauf, wenn ihr uns abonniert

Paul: und teilt und eine gute Bewertung hinterlasst. Bis zum nächsten Mal.